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GesellschaftMit Sellner im Regen stehen

Linke Kultur als Feindbild: Vergangenen Samstag demonstrierte die rechtsextreme AfD-Jugendorganisation JA gegen das Stuttgarter U&D-Festival – weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, aber mit einem illustren Gast aus Wien.

Ein kräftiger Regenguss begrüßt Martin Sellner (Mitte) bei der JA-Kundgebung. Fotos: Jens Volle

Von Oliver Stenzel

Kurz nach 14 Uhr sind schon mehrere hundert Leute auf dem Festplatz Krehlstraße in Stuttgart-Vaihingen, wo am Abend zuvor die 43. Auflage des Umsonst & Draußen-Festivals (U&D) begonnen hat. Es sind Junge und Alte, Punks, Hippies, Metal-Fans, Rocker:innen und subkulturell nicht Kategorisierbare, partywütige Umdiezwanzigjährige und Familien mit Kindern, die nicht mehr ganz so hart feiern wollen. Die Stimmung ist heiter, auch wenn der Himmel nach Regen aussieht.

Etwas ernster scheint die Stimmung in einem Grüppchen von etwa 30 Leuten am Rand des Festivalgeländes zu sein. Ein junger Mann namens Chris vom Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart (AABS) geht durch, wie man auf die Kundgebung der Jungen Alternative (JA) zu reagieren gedenke. Der Stuttgarter Kreisverband der AfD-Jugendorganisation, die seit 2023 vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft ist, hat angekündigt, in der Nähe gegen das Festival demonstrieren zu wollen. Eine Gegendemo im strengen Sinn gibt es nicht, das U&D-Team hat schon vorab erklärt, „das Festival IST bereits die Gegenveranstaltung“. Und so zieht die Antifa-Gruppe zum Hauptzugang des Geländes und postiert sich dort mit einigen Bannern.

Dass Kultur eines der wichtigsten Ziele rechter Politik ist, zeigt sich überall, wo rechte Parteien die Regierung eines Landes bilden oder bildeten, ob in Ungarn, Polen oder Italien. Aber auch dort, wo nur Kommunal- oder Regionalparlamente betroffen sind; in Spanien etwa, wo in vielen Rathäusern die rechte Partido Popular mit der rechtsextremen Vox gemeinsam regiert, leidet die Kultur bereits stark unter regionaler Zensur.

In Stuttgart erlauben das die Mehrheitsverhältnisse noch nicht, doch auffallend ist, dass die AfD auch hier immer häufiger Kulturinitiativen angreift. Mit welchen Argumenten zeigt die JA-Demo fast idealtypisch, wenn auch nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Einige hundert Meter vom U&D-Gelände entfernt, auf einem von Bäumen und Sträuchern umgebenen Parkplatz, stehen gegen 14:30 Uhr etwa 20 Menschen unter zwei Pavillons herum, einer mit AfD-, der andere mit JA-Logo. Es hat angefangen zu regnen, und nicht nur deswegen verirrt sich hierhin kaum jemand zufällig, und wenn, nur nach einer Polizeikontrolle. 200 Beamtinnen und Beamte haben sich in großem Radius drumherum verteilt, alle Zufahrten und Zugänge zum Parkplatz sind bewacht und teils weiträumig mit Hamburger Gittern abgesperrt.

Sellner hält das Festival für ein Jugendzentrum

Um 14:45 Uhr gibt es großes Gejohle in dem kleinen Häuflein, es bekommt Zuwachs von einem Herrn mit Undercut, streng seitengescheitelten schwarzen Haaren, Sonnenbrille und schwarzem T-Shirt mit „Woke Zero“-Schriftzug. Es ist, kein Zweifel: Martin Sellner. Posterboy der Neuen Rechten und Ex-Sprecher der Identitären Bewegung Österreich.

In Stuttgart liest und spricht Sellner nicht öffentlich, er filmt nur mit dem Handy für seinen Livestream und Videoblog, unterhält sich vor Beginn der Kundgebung mit den Anwesenden, die immer wieder zu seinen Ausführungen klatschen. Online kann das nachschauen, wer mag. Und Sellner weiß offenbar gar nicht so genau, gegen was sich die Demo am Samstag richtet („gegen ein linksautonomes Jugendzentrum“), aber das ist egal, solange es sich als Aktion inszenieren lässt.

Die Mini-Demo sei der „Anfang einer Bewegung“

Kurz nach 15 Uhr eröffnet der Stuttgarter JA-Sprecher Manuel Schreiber die Veranstaltung. Der Regen hat nachgelassen, das Häuflein ist noch leicht gewachsen auf knapp 40 Teilnehmende, die meisten Männer. Schreiber tut schnell alles, um die Einschätzung des Verfassungsschutzes zur JA zu bestätigen. Man sei hier, weil das U&D eines der größten linken Festivals in Baden-Württemberg sei, ein Rekrutierungsbüro für Linksradikale. Die Linken hätten angefangen, „Bildungseinrichtungen zu infiltrieren, Kindern ihre woke Gesinnung einzutrichtern“, dem wolle man einen Riegel vorschieben. Der „Blick in den Osten“ macht ihn offenbar zuversichtlich, „Deutschland wacht auf“, sagt er, und: „Wir sollten einfach mehr Osten wagen.“ Und weil Schreiber gesehen hat, dass auch Presse anwesend ist, gibt er noch schnell die Devise aus: „Bitte keine Interviews mit der Lügenpresse!“

Drei Mandatsträger der AfD sind da, die Stuttgarter Gemeinderäte Michael Mayer und Thomas Rosspacher („Remigration schafft Wohnraum“) und der Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel. Erst spricht Mayer, Fraktionschef in Stuttgart. Er gibt sich vermeintlich liberal: Was sollte man denn gegen so ein Festival haben, dürften Linke kein Zelt aufbauen, Musik machen? Was Mayer stört: Dass das U&D-Logo „verblüffende Ähnlichkeit mit dem RAF-Logo“ habe. Ein roter Stern, doch mit Gitarre statt Schnellfeuergewehr wie bei der linken Terrorgruppe. Entweder sei das eine beispiellose Verharmlosung, oder es stecke dahinter Schlimmeres: Meinen die Veranstalter etwa, gesellschaftliche Veränderungen mit Sprengstoff herbeiführen zu wollen?, raunt Mayer.

Dann folgt Dirk Spaniel. Der spinnt das krude Geraune vom drohenden linken Umsturz weiter und schaltet in Sachen Verbalradikalität ein paar Gänge hoch. Was man jetzt gerade im Westen erlebe, das sei „das Ende des freien Lebens und der Beginn der totalitären Herrschaft“. Meinungsfreiheit gebe es nicht mehr – warum er dann auf einer genehmigten Demo einer rechtsextremistischen Gruppe sprechen kann, die linke Kultur canceln will, bleibt unbeantwortet. Viele wüssten ja gar nicht, sagt Spaniel, „wie dramatisch die Auswirkungen linker Herrschaft sind“. Spaniel hat die Auswirkungen gesehen, beispielsweise bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris, die habe ihm gezeigt, „dieses Raumschiff hat sich abgekoppelt“. Er führt das nicht weiter aus, springt weiter zur „Super-Bürokratie“ der EU, die immer übermütiger werde, die „Ihnen Ihr Auto wegnehmen will“, er spricht dann von vielen physischen Angriffen auf die AfD, das sei „politischer Terrorismus“. Vor dieser Repression hätten die meisten Menschen Angst, aber „die Anderen“, die Linken, sie hätten Medien, sie hätten Gewerkschaften. In dem kleinen Häuflein sieht Spaniel „viele junge Leute“, die er „Fackelträger des Widerstands in Deutschland nennt“, und am Ende seiner Ausführungen ist sich Spaniel sicher, diese Kundgebung, „das ist der Anfang einer Bewegung“.

Nach knapp 40 Minuten ist Schluss. JA-Sprecher Schreiber bedankt sich beim „Ehrengast“ Sellner aus Wien und findet, dass die JA auch „viel mehr Wien wagen“ sollte. Mehrmals ruft er: „Wer Deutschland nicht liebt“, worauf das Publikum antwortet: „soll Deutschland verlassen“. Dann verlassen die drei Dutzend nach und nach den Parkplatz, laut Stuttgarter Polizei gibt es weder davor noch danach besondere Vorkommnisse.

„Don‘t let them take over the world“

Ehrengast Sellner verlässt Deutschland schon am Sonntag wieder. Am Samstag, ein paar Stunden nach seinem Stuttgarter Intermezzo, wird seine Lesung in einem Gasthaus in Neulingen von der Polizei beendet, nachdem die Gemeinde nach Bekanntwerden der nichtöffentlichen Veranstaltung ein befristetes Aufenthaltsverbot für Sellner ausgesprochen hat. Tags darauf versucht er es am Nachmittag im bayerischen Passau, das hat eine Gegendemonstration zur Folge und einen Platzverweis der Polizei, worauf Sellner nach Österreich ausreist.

Dort, wo die Rechten eine Rekrutierungsveranstaltung der Linksradikalen phantasieren, beim Umsonst & Draußen, bekommen die Anwesenden nichts von der JA-Kundgebung mit. Rund 2.000 Besucher:innen schauen sich am Samstag mehrere Bands zwischen Pop und Metal an, liegen im Gras, trinken und essen an diversen Imbissständen, haben Spaß, genießen die entspannte und friedliche Atmosphäre. Physisch aggressiv sind ab Beginn der Dämmerung nur die Stechmücken.

Das Thema Rechte spielt dennoch eine Rolle: Als inhaltlicher Schwerpunkt des Festivals war schon vor Anmeldung der JA-Demo „Demokratie verteidigen – gegen Rechtspopulist*innen“ festgelegt. Im Forumszelt gibt es Vorträge zu rechten Kommunikationsstrategien, Gefahren des Rechtspopulismus und Gegenmaßnahmen,

Und auch die auftretenden Bands bringen das Thema immer wieder zur Sprache. Etwa bei dem Electro-Punk-Duo Unicorn Partisans aus Leipzig, die im Zirkuszelt ein grandioses Set abliefern. Zwischen den Songs positioniert sich die aus dem russischen Murmansk stammende Sängerin Tan-Ya immer wieder gegen jede faschistische Bedrohung – und schließt mit Songs wie „Putin is a murderer“ dabei auch den russischen Präsidenten mit ein.

Auch Clifford Dinsmore, Sänger der kalifornischen Hardcore-Punk-Band Seized Up, die am Samstag das Programm auf der Hauptbühne beschließt, plagt der Blick in die Zukunft. Zwischen zwei Songs sinniert er über seine Sorgen über die kommende US-Wahl Anfang November. Und formuliert das passende Schlusswort für diesen Tag: „Fuck all the fascists. Don‘t let them take over the world.“

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