Geschützte Arten zum Abschuss freigegeben: Jagd auf Buchfinken
Italiens Jäger haben die Zugvögel im Visier: Dabei müssen sie sich nicht um geschützte Arten scheren. Die Regionalbehörden haben alle zum Abschuss freigegeben - gegen die Richtlinien der EU
ROM taz | Es ist eine Erfahrung, die deutsche Toskana- oder Umbrien-Touristen im Herbst immer wieder machen: Kaum wollen sie statt einer historischen Besichtigungstour in irgendeinem netten Städtchen einen romantischen Waldspaziergang unternehmen, ist der Spaziergang auch schon zu Ende: Büchsenlärm aus allen Himmelsrichtungen statt Vogelgezwitscher lassen es den meisten geraten scheinen, überstürzt den Rückweg anzutreten.
Der Krach signalisiert: In Italien ist Jagdsaison. Und südlich des Brenners sind auch zahlreiche durch EU-Richtlinien geschützte Vogelarten wie Buchfinken, Kernbeißer, Bergfinken, Baum- und Wiesenpieper für den Abschuss freigegeben.
"Am schlimmsten sind die Lombardei und Venetien", schimpft Antonino Morabito, der beim Umweltverband Legambiente für bedrohte Tierarten zuständig ist. Die Regionen missbrauchen ein Instrument, das auch in der EU-Richtlinie vorgesehen ist: In besonderen Fällen können sie Ausnahmeregelungen verabschieden. Drei Gründe sind angegeben: Sicherheitsprobleme, Schäden für die Landwirtschaft und schließlich die Verteidigung bestimmter Jagdtraditionen - allerdings bloß, wenn eine verlässliche Schätzung über die Auswirkungen zum Beispiel auf Zugvogelarten vorliegt. Die aber hat in Italien nie jemand erstellt.
"Die Ausnahmeregelungen sind - wie der Name sagt - ein Ausnahmeinstrument", erklärt Morabito. "Doch die Regionen machen die Ausnahme zur Regel und verabschieden jedes Jahr ein Gesetz, das den Jägern Tür und Tor öffnet." Seit 2006 läuft ein EU-Vertragsverletzungsverfahren. Eine Verurteilung Italiens gilt als wahrscheinlich.
Trotzdem machten die Lombardei oder Venetien "in denkbar frechster Manier" weiter, so Morabito. Schließlich sind Jäger Wähler, und in Italien holen Hunderttausende am Wochenende die Flinte aus dem Schrank. Das Jagdrecht ist napoleonisch-demokratisch. Jagdpächter wie in Deutschland sind unbekannt. Jeder darf losziehen, wenn er sich auf dem Gemeindeamt eine Jagdlizenz besorgt hat. Und er darf in jedem Wald, auf jedem Feld jagen, ohne dass deren Besitzer das untersagen könnten.
Mit dieser Lobby will sich kaum eine Region anlegen. So zogen dieses Jahr gleich 15 der 20 Regionen die Eröffnung der Jagdsaison vom gesetzlich festgelegten dritten Sonntag des September auf den Monatsanfang vor. Bis Ende Januar wird diese Saison allein in der Lombardei mindestens 650.000 unter Schutz stehende Zugvögel das Leben kosten, womöglich weit mehr.
Umweltschützer Morabito berichtet von Websites, auf denen Regionalpolitiker des auch in Rom regierenden Berlusconi-Lagers ihre Klientel auffordern, in den Abschussberichten geschützte Vögel zu verschweigen, damit es kein Problem mit der Quote gibt. Tarnhüttenjäger dürfen sich darüber freuen, dass die Behörden ihnen tausende lebende Lockvögel zur Verfügung stellen, die in staatlich genehmigten Netzfanganlagen gefangen und anschließend gratis an die Zugvogeljäger verteilt wurden.
"Das Ganze ist ein staatlich organisiertes Massaker, das die Schutzbemühungen in Deutschland und anderen EU-Ländern ad absurdum führt", kritisiert Heinz Schwarze, Vorsitzender des deutschen Komitees gegen den Vogelmord. Doch sosehr sich das Komitee, das auch jetzt wieder einige Dutzend Mitglieder nach Norditalien ausgesandt hat, ins Zeug legt, so wenig bewegt die Nachricht die italienische Öffentlichkeit: Die Jagd und der mit ihr einhergehende staatlich legitimierte Missbrauch von EU-Vorschriften ist hier einfach kein Thema.
Und wenn es nach der Koalition von Regierungschef Silvio Berlusconi geht, sollen es Italiens Waidmänner demnächst noch besser haben. Dem Senat liegt bereits ein neuer Gesetzentwurf vor, der ihnen noch mehr Freiheiten einräumt. So soll die Jagd auch auf den bisher gesperrten Staatsländereien und an den für Zugvögel höchst wichtigen Alpenpässen zulässig sein. Außerdem soll die Schießerei demnächst bis zu einer halben Stunde nach Sonnenuntergang genehmigt werden, und auch das Ballern von Booten aus soll gestattet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles