Geschichtspolitik: Schwachhausen im Siegesrausch
Manche Fragen vergehen nicht, wenn man sie unter den Tisch fallen lässt. Sie kehren wie Untote immer wieder. Wie geht man mit Straßennamen um, die kriegsverherrlichend und menschenverachtend sind? Mit der Langemarckstraße in der Neustadt, der Karl-Peters-Straße in Walle oder den Spuren von 1870 / 71?
Langemarck, Karl Peters, werden viele fragen, wer oder was war das? Aber wird ein Straßenname harmlos, nur weil die Geschichte dahinter vergessen ist? Ob der Name Langemarckstraße noch tragbar noch tragbar sei, fragten schon 1983 Studenten und Professoren der Hochschule Bremen, die an der Langemarckstraße liegt. Sie stießen eine öffentliche Diskussion an über den Mythos Langemarck, sie wollten eine Umbenennung erreichen, vergeblich. Die Hochschule hat dann als Postadresse den Neustadtswall gewählt, die Frage nach der Umbenennung verblasste. Allerdings, immer wieder wurde das Langemarck-Denkmal vor der Hochschule umgeworfen, zuletzt 1988. Der Beirat beschloss diesmal, es nicht mehr aufzurichten. Seit 1992 liegt es nun vom Sockel gestürzt als Mahnmal, davor eine Infotafel. Wer aber nimmt das wahr?
Umbenennungen von Straßen sind schwierig. Die Anwohner sind fast immer dagegen und die Politiker sich selten einig. Direkt nach Kriegsende wurden natürlich Straßen mit Nazinamen umbenannt. Warum aber, anders als in anderen deutschen Städten, nicht die Langemarckstraße?
In den letzten Jahrzehnten gab es wenige Umbenennungen in Bremen. Nach Richard Boljahn beziehungsweise Karl Carstens wurde ein Teil der Franz-Schütte-Allee respektive der Habenhauser Brückenstraße umbenannt - ein Abschnitt, an dem niemand wohnt, also wenig Widerspruch und Kosten entstanden. Allerdings gab es 2005 eine beachtenswerte Rückbenennung: Die Emanuel-Straße in Schwachhausen, von den Nazis aus antisemitischen Gründen in Eupener Straße umbenannt, bekam, gegen den Widerstand der Anwohner, ihren alten Namen wieder, um nationalsozialistisches Unrecht zu beseitigen.
Damals flammte die Diskussion um die Langemarckstraße wieder auf. Eine Umbenennung war wieder nicht durchzusetzen. Stattdessen entwickelt eine Arbeitsgruppe des Beirats - in der Beiratsmitglieder, Anwohner, Geschichtslehrer und das Lidicehaus sich gemeinsam engagieren - eine Alternative: den "Geschichtspfad Langemarckstraße". Ein virtueller Anfang ist bereits gemacht, unter www.geschichtspfad.de findet man historische Dokumente und Informationen und, wie bei Wikipedia, kann man die Seite selbst mitgestalten. Auch für einen konkret begehbaren und begreifbaren Geschichtspfad gibt es erste Ideen. Die Einbeziehung der Neustädter ist der Arbeitsgruppe dabei wichtig: Sie sollen "ihren" Geschichtspfad mit anlegen.
Der Beirat Walle hingegen hat vor kurzem einstimmig die Umbenennung der Karl-Peters-Straße beschlossen. Nicht länger soll eine Straße nach dem rassistischen und verbrecherischen Kolonisator heißen, der die Kolonie Deutsch-Ostafrika begründete und bis heute in Ostafrika als "Mann mit den blutigen Händen" in Erinnerung ist.
Geschichtspfad oder Umbenennung - was ist sinnvoller? Bei Systembrüchen wie nach 1945, da sind sich die Bremer Geschichtsprofessoren Imanuel Geiss und Inge Marszolek einig, muss es Umbenennungen geben. Aber heute, 2009, bei der Langemarck- oder Karl-Peters-Straße? Geiss würde in diesen beiden Fällen eine Umbenennung vorziehen, Inge Marszolek ist dafür, den geschichtlichen Kontext sichtbar zu machen. Zum Beispiel mit einem Stadtspaziergang zur Kolonialgeschichte, von der Togostraße über Leutweinplatz und Waterbergstraße in Gröpelingen, Nachtigal- und Karl-Peters-Straße in Walle bis zur Lüderitzstraße in Schwachhausen. Nicht zu vergessen die Hedwig-Heyl-Straße: Die Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin war rassistisch, antisemitisch und Anhängerin Hitlers.
Wer, fragt Imanuel Geiss, weiß heute noch, warum in Schwachhausen so viele Straßen französische Namen haben? Gravelotte, Verdun, Nancy, Dijon: Was heute nach Völkerverständigung klingt, erinnert an den deutschen Siegestaumel nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich 1870 / 71. Dazu würde er gerne eine historische Stadtbegehung machen.
Ganz Ähnliches haben letzte Woche Schüler der Schule am Leibnizplatz in einem Projekttag für den Geschichtspfad Langemarckstraße überlegt: Sie wünschen sich mehr als Tafeln, sie stellen sich bunte Skulpturen und Kunstinstallationen vor, an denen keiner einfach vorübergeht.
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