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Archiv-Artikel

Geschichten aus dem Praktikantenstadl Warum niemand weiß, dass ich die „Generation Praktikum“ erfunden habe

Schizophrenie hat viele Gesichter. Eines der weniger hübschen offenbarte mir einmal ein Wochenmagazin, bei dem ich ein Praktikum machte. Es war mein siebtes. Die Redakteure planten eine Titelgeschichte über die „Generation Praktikum“, doch damals hieß sie noch nicht so. „Es soll über junge, gut ausgebildete, praktikumserfahrene Akademiker gehen“, sagten die nicht mehr ganz so jungen Redakteure. „Über Leute in ihren Zwanzigern, und wie sie vergeblich versuchen, an ihren ersten Job zu kommen. ‚Generation Ausgebremst‘ könnte sie heißen. Ist noch ein Arbeitstitel. Und da“, sagten die Redakteure lächelnd zu meinen Praktikums-KollegInnen und mir, „dachten wir an euch.“

Endlich hörte uns jemand an. Wir erzählten den festangestellten Meinungsmachern unseren Leidensweg: von unbezahlten Praktika in fernen Ländern. Von den Schulden, die wir angehäuft hatten, um über Monate in teuren Städten ohne Entlohnung arbeiten zu dürfen. „Gut“, sagten die Redakteure in ihren Ledersesseln und machten sich Notizen. „Erzählt weiter, das ist super!“

Also berichtete ich von einem Radiopraktikum, für das ich an einem kalten Novembermorgen um fünf Uhr verschlafene U-Bahn-Fahrer fragte: „Na, was haben Sie heute zum Nikolaus gekriegt?“ Die meisten hatten etwas bekommen, das „Kannsmichma“ heißt. Nach vier Wochen Praktikum, vielen Frühschichten und eigenen Berichten bekam ich ein Zeugnis, in dem nicht viel mehr stand als mein falsch geschriebener Name und das Wort „Praktikum“. „Bewertungen“, so war hinzugefügt, „stellen wir grundsätzlich nicht aus.“ Die Redakteure des Magazins zeigten sich mitfühlend. Ich war stolz auf mein Wissen über die Generation Ausgebremst (Arbeitstitel). Endlich durfte ich Teil einer Jugendbewegung sein.

„Das Schlimmste ist die Kannibalisierung unter den Praktikanten“, sagte ich in die Runde. „Es gibt immer noch einen Praktikanten, der für noch weniger Geld noch mehr arbeitet als der Gratiskollege zuvor.“ All meine Mitpraktikanten nickten zustimmend. „Das von den Eltern über Jahrzehnte mühsam angesparte Geld geht dafür drauf, ihre Kinder bis zum 30. Geburtstag zu unterstützen. Wir verarbeiten unser Oma ihr klein Häuschen.“ „Super Formulierung!“, frohlockten die Redakteure.

Eine Kollegin erzählte von ihrem Freundeskreis: „Am Wochenende geht es auf Partys oft darum, wie wir am besten vorsorgen. Berufsunfähigkeitsversicherung, private Rente, Lebensversicherung. Irgendwas, das ein wenig Sicherheit gibt.“ Aus der Kehle eines besonders jugendlich daher kommenden Magazinredakteurs drang ein verächtlicher Stoßlaut. „Also: Als wir in eurem Alter waren, da haben wir auf Partys aber was anderes gemacht.“ Revolution und so. Dann musste er gehen. Ein wichtiger Termin. Die betrieblich bezahlte Masseurin kam nur zweimal die Woche.

Das Unverständnis der Ledersessel-Redakteure brachte mich richtig in Fahrt. Ich wollte ihnen sagen, dass Leute wie sie schuld seien, dass … – Da wurde ich unterbrochen. „Danke, das hilft uns sehr“, sagten die Redakteure und klappten ihre Notizblöcke zu. Sie hätten jetzt genug Material für eine steile These. Der Rest werde sich finden. Zahlen und Fakten und so.

Ich gab noch nicht auf. „Ich würde gern an der Geschichte mit arbeiten“, sagte ich und versuchte, möglichst professionell zu wirken, also blasiert. „Ach“, sagte der Redakteur, der am meisten mitgeschrieben hatte, „schauen wir mal.“ Und wie sieht es aus mit einer freien Mitarbeit? Ja-Nein-Vielleicht-Mal-sehen. Es sehe gerade echt schlecht aus mit Jobs. Leider.

Als mein Praktikum Wochen später endete, unterhielt ich mich mit der Redaktionsleiterin. Ich fragte, ob sie von neuen Jobs wisse. Nein, sagte sie bedauernd, meine Arbeit sei echt gut, aber es sehe gerade schlecht aus. „Aber warum machst du nicht“, sagte sie mit einem Schulterzucken, „erst mal noch ein Praktikum?“

MATTHIAS LOHRE

Der Autor (30) ist seit einem Jahr Parlamentskorrespondent der taz berlin. Davor hat er sieben Praktika absolviert.