: Geschäft ist Geschäft
AUS MOGADISCHUJOCHEN STAHNKE
Abdullahi Nur al-Nuurie handelt mit Waffen. Er sitzt in seinem kleinen Kiosk auf dem Bakara-Markt von Mogadischu und freut sich. Die Preise für automatische Gewehre sind innerhalb der letzten zwei Monate um 25 Prozent gestiegen, sagt al-Nuurie. Die angespannte Atmosphäre auf dem Markt scheint ihm keine Angst zu machen. Gelegentlich knallt ein Schuss: Käufer testen ihre Ware. Doch solange auf den ersten kein zweiter folgt, geht hier alles seinen normalen Gang.
Der Bakara-Markt gilt als der größte offene Waffenmarkt Afrikas. Er besteht aus zwei Straßenzügen, gesäumt von Bretterbuden, Wellblechverschlägen und rudimentären Betonhäuschen, flankiert von wild wuchernden Kakteen, in denen sich Abfall verfangen hat. Der heruntergekommene Eindruck täuscht. Ganz offen werden hier Kleinwaffen aller Art feilgeboten, wie Obst liegt in offenen Kisten die dazugehörige Munition aus. Auch das deutsche G 3-Sturmgewehr ist im Angebot. Trotzdem: „Die paar Waffen hier sind doch nur Show“, sagt al-Nuurie und deutet auf seine Gewehre, Bazookas und Pistolen, die er locker und ungeschützt in seinem grob gezimmerten Unterstand lehnen hat. Schweres Gerät nämlich halten die Waffenhändler versteckt – so ein Marschflugkörper könnte dem einträglichen Geschäft schnell ein Ende bereiten.
Von der unvermeidlichen Kalaschnikow AK-47 über äthiopische Panzerfäuste bis hin zu schweren Flugabwehrgeschützen ist hier nahezu jeder Artikel binnen vierundzwanzig Stunden lieferbar. „Ich verkaufe Waffen einfach an jeden, der welche verlangt“ – das ist al-Nuuries Lebensversicherung. Dreißig Jahre alt und im Bürgerkrieg groß geworden, hat er ein sicheres Auskommen in der Kriegsökonomie Somalias gefunden.
„Die Mullahs“ seien augenblicklich seine besten Kunden, erzählt Kriegsgewinnler al-Nuurie. Der wachsende Einfluss radikaler Islamisten im einst kosmopolitischen Mogadischu ist nicht zu übersehen: Es gibt kaum noch unverschleierte Frauen auf der Straße, Restaurants bleiben während des Fastenmonats Ramadan geschlossen. Einzig islamische Scharia-Gerichte bieten so etwas wie Rechtssicherheit, auch wenn sie gnadenlosen Gesetzen folgen. Islamische Milizen betreiben Checkpoints und verlangen einen geringeren Wegzoll als die Posten der übrigen Warlords. Erst kürzlich haben die Scharia-Milizen die Projektoren der altehrwürdigen Bollywood-Kinos von Mogadischu zerstört, anschließend plünderten sie die Filmbibliothek Somalias und verschleppten sechs ihrer Mitarbeiter. „Bitte teilt der Welt mit, dass wir hier kurz vor einer Machtübernahme der Taliban stehen“, fleht uns ein somalischer Journalist an, der sein Büro schon geräumt und seine Fotoausrüstung versteckt hat.
Der Scheich lächelt
Einen charismatischen Führer haben die somalischen Islamisten: Scheich Hassan Dahir Aweys heißt der Mann, nach dem die US-Regierung wegen mutmaßlicher Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida fahndet. Verantwortlich gemacht werden Scheich Hassan und seine Kampfgruppe „al-Ittihad al-Islamia“ für den Bombenanschlag auf ein Hotel im kenianischen Mombasa mit 13 Toten im November 2002 sowie für den versuchten Abschuss einer israelischen Boeing dort wenige Minuten später.
Scheich Hassan zu treffen gestaltet sich schwierig. Per Mobiltelefon wird man kreuz und quer durch den Süden Mogadischus geleitet, eine Fehlinformation jagt die nächste. Plötzlich bremst der Fahrer abrupt auf der Staubpiste neben einer unscheinbaren Häuserzeile. Jugendliche Kalaschnikowträger winken uns in eine kleine Moschee, von außen kaum als solche zu erkennen.
Dort, auf einer schäbigen Matratze in der Ecke, sitzt Scheich Hassan. Er lächelt bescheiden, blickt jedoch nicht auf. Die Beine übereinander geschlagen, blättert er versonnen im Koran. Neben ihm steht ein mittelschweres Maschinengewehr. Es ist die einzig sichtbare Waffe in dem Gotteshaus, doch es wimmelt nur so von seinen sehr jugendlichen und wachsamen Jüngern.
Er höre jetzt wieder öfter die Spähflugzeuge der Amerikaner, erklärt der Scheich dem Besucher. Aber der Mann mit dem prägnanten roten Bart wirkt fröhlich und aufgeräumt, von Angst keine Spur. Scheich Hassan hat große Pläne: Er strebt ein Kalifat über ganz Somalia an. Eine demokratische Regierung lehnt er per se als unislamisch ab. Und er will Krieg. Seine Kampfgruppe al-Ittihad, sagt der Scheich, sei erst kürzlich in der von ihm gegründeten Partei „Somali Salvation and Unity Council“ aufgegangen. „Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Waffen“, erklärt er selbstbewusst.
Der Erzfeind des Islamisten Hassan ist die international anerkannte Übergangsregierung von Somalia unter Präsident Abdullahi Yusuf. Sie wurde vor einem Jahr auf einer Friedenskonferenz in Kenia gebildet und wird vor allem von Äthiopien unterstützt und mit Waffen in erschreckend großer Zahl versorgt. „Äthiopien ist für Ostafrika das, was Israel im Nahen Osten ist“, doziert Scheich Hassan und lässt dabei keinen Zweifel daran, dass er beide Länder für Pestbeulen hält.
Die Clans streiten
In der Tat scheint Äthiopien in Somalia vor allem eine destabilisierende Politik zu verfolgen. Zankapfel ist seit je die äthiopische Ogaden-Region, die hauptsächlich von Somalis bewohnt wird und wo Guerillatruppen seit vierzig Jahren für den Anschluss an Somalia kämpfen. Scheich Hassan und große Teile der somalischen Opposition unterstützen die Rebellen im Ogaden. Laut UN-Experten wird der Scheich dabei von Eritrea versorgt, das damit seinen Erzfeind Äthiopien schwächen will. Der Rumpfstaat Somalia ist der Spielball der Regionalmächte Äthiopien, Jemen und Eritrea.
Mogadischu galt einst als Perle Afrikas, davon zeugt auch der atemberaubend schöne Naturhafen aus Korallenstein. Doch eine Mischung aus Warlords, autonomen Mordbanden, militanten Islamisten und ausländischen Geheimdiensten macht aus der Stadt eine Gefahr für die gesamte Region. Hätten die Bretterverschläge der vielen Waffenkioske in Mogadischu Türen – die Kunden würden sich die Klinke in die Hand geben. Somalia steht vor seinem nächsten großen Krieg.
Die Übergangsregierung unter Abdullahi Yusuf integriert zwar weitgehend alle Clans und Warlords, ist aber selbst tief gespalten. Sie ist bereits der 14. Versuch seit dem Zerfall des somalischen Zentralstaates vor 14 Jahren, eine Regierung für Somalia zu bilden. Doch auch diesmal stehen ihre Chancen schlecht. Präsident Yusuf und seine Anhänger vom großen Darod-Clan haben ihr Hauptquartier in Jowhar bezogen, einer kleinen Stadt neunzig Kilometer nördlich von Mogadischu. In der Stadt selbst sitzt die innere Opposition, vor allem Angehörige des Hawiye-Clans.
Hinzu kommt: Die mit 42 Ministerien und 91 Kabinettsmitgliedern völlig überdimensionierte Übergangsregierung liest sich wie ein Who’s who der Kriegsverbrecher. Sicherheitsminister zum Beispiel ist Qanyare Afrah, der wohl mächtigste Warlord in und um Mogadischu. Seinen Reichtum verdankt er dem von ihm kontrollierten Flughafen Dayniile. Wiewohl nicht viel mehr als eine Sandpiste, wirft Dayniile täglich bis zu 10.000 US-Dollar Profit an Lande- und Sicherheitsgebühren ab. Denn den internationalen Flughafen Mogadischu fliegt niemand mehr an, er kann von fast jedem beliebigen Ort in der Stadt aus unter Feuer genommen werden. Somit landen auch UN-Maschinen in Dayniile – und zahlen. Für einen einzigen Tagessatz hat Qanyare an einem Märztag fünfzig AK-47-Sturmgewehre auf dem Bakara-Markt gekauft.
Eigentlich steht Somalia ja unter UN-Waffenembargo. Aber niemand hält sich daran. In die Waffentransaktionen seien „auch 10 Minister sowie der Präsident der Übergangsregierung selbst verwickelt“, lautet das Fazit der UN-Experten, die das Embargo überwachen sollen, in ihrem jüngsten Bericht.
Der Warlord kassiert
Einer der wenigen regierungstreuen Warlords in Mogadischu ist Hussein Farah Aidid, stellvertretender Premierminister der Übergangsregierung. Sein Ruhm leitet sich hauptsächlich daraus her, dass sein Vater, ein erfahrener Rebellenführer, 1992 die US-Armee aus Mogadischu verjagt hat. Deshalb wohnt Sohn Aidid heute im ehemaligen Präsidentenpalast. Doch präsidiale Atmosphäre will sich trotz üppiger Plüschsessel im großen Empfangsraum nicht einstellen. Denn die „Villa Somalia“ ist eine zerschossene Ruine, in der nicht einmal die Treppen von Trümmern und Abfall geräumt sind.
Ausgebildet in den USA und Veteran der US-Marines, gibt sich Aidid weltgewandt und souverän. Natürlich befürworte er einen Umzug der Übergangsregierung nach Mogadischu, erklärt er dem Besucher. Für ihre Sicherheit könne er persönlich garantieren. Hat er denn nicht von Scheich Hassan und seinen Islamkriegern gehört? Aidid beugt sich vor, die leuchtend blaue Krawatte wölbt sich über dem massigen Bauch: „Scheich Hassan kann gerne Scharia-Gerichte aufbauen. Aber er kann nicht in die Politik gehen. Das verbietet der Koran.“ Der Mann im karierten Maßanzug mit den kurzen Ärmeln scheint dabei auszublenden, dass er selbst nur noch etwa zwei Straßenzüge um die Villa Somalia herum kontrolliert. Genau wie die riesige Villa ist auch der Name Aidid nur noch ein Schatten der Vergangenheit. Für ein paar Checkpoints reicht es noch. Gerade genug, um Geschäfte zu machen. Frieden will hier niemand, der auch nur eine Hand voll Milizen besitzt.
Waffenhändler al-Nuurie erwartet den Krieg „sehr bald“. Beobachter sagen einen Angriff durch Scheich Yusuf zuerst auf die strategisch wichtige Stadt Baidoa voraus, danach den Vorstoß auf Mogadischu. Die Warlords dort werden sich zum Häuserkampf vereinen. Nuurie beunruhigt das nicht. Geschossen wird auf jeden Fall, Geschäft ist Geschäft.