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Gesamtdeutsche Wahlen

Bundeskanzler Kohl und Ministerpräsident de Maiziere haben angekündigt, daß sie den Termin der ersten gesamtdeutschen Wahl auf den 14. Oktober vorverlegen wollen, wobei Herr de Maiziere es sogar unterließ, den Koalitionspartner SPD (Ost) davon vorher in Kenntnis zu setzen. Das hat zu recht den entschiedenen Protest von Seiten der unterschiedlichsten politischen Kräfte hervorgerufen. Es wäre den beiden genannten Politikern dringend zu empfehlen, ihren Vorschlag umgehend zurückzuziehen.

Es wäre mit ihm ein wiederum sehr hektischer Wahlkampf verbunden, der den beteiligten politischen Kräften nicht die genügende Zeit zur Vorstellung ihrer Programme sowie ihrer Kandidaten ließe. Ganz abgesehen davon, daß wohl auch die Zwei-plus-vier-Verhandlungen unter unnötigen Zeitdruck geraten würden. Außerdem ist zu prüfen, ob es überhaupt einen verfassungsrechtlich unbedenklichen Weg gibt, den Termin 2. Dezember 1990 noch derartig zu verändern. Als eine Mindestforderung möchte ich eine Zusage der CDU in West und Ost ansehen, daß man nunmehr den Sonntag, den 4. November 1990, als frühestmöglichen Wahltermin ins Auge faßt.

Für diesen Tag spräche seine geschichtlich bedeutsame Rolle für den friedlichen Verlauf der politischen Umwälzungen in der DDR, er würde einen für die DDR-Bürger würdevolleren Übergang in ein einheitliches Deutschland ermöglichen und könnte anschließend aus doppeltem Grunde zum Feiertag der deutschen Einheit erklärt werden. Niemand sollte sich primär von wahltaktischen Überlegungen leiten noch sich all zu sehr von den Stimmen derjenigen beeinflussen lassen, denen nichts schnell genug gehen kann. Eher ist da Eile mit Weile geboten.

Die vorgesehene Wahl Berlins als künftige Hauptstadt ist zu begrüßen. Die Beantwortung der Frage nach dem künftighen gesamtdeutschen Regierungssitz sollte dagegen einem vom gesamten deutschen Volke rechtmäßig gewählten Parlament vorbehalten bleiben. Für Berlin spräche zwar eine zu erhoffende Möglichkeit einer besseren Berücksichtigung der Interessen der ehemaligen DDR-Bevölkerung, ein Umzug der bundesdeutschen Parlamentarier von Bonn nach Berlin würde jedoch zu finanziellen Belastungen, vermeidbaren Unbequemlichkeiten und Reibungsverlusten (und auf diese Weise nicht zuletzt zu einer noch chaotischeren Verkehrs und zu einer noch schlechteren Luftsituation und einer zusätzlichen Belastung des Wohnungsmarktes in Berlin und Umgebung) führen. Eine derartige Entscheidung kann nicht einfach so übers Knie gebrochen werden. Vielleicht könnten sich Bonn und Berlin später in die zu erfüllenden politischen Aufgaben auch auf eine noch zu findende Weise optimal hineinteilen. Es wäre sicher nicht verkehrt, meine Vorschläge in die derzeit laufende Debatte mit einzubeziehen.

Lutz Gärtner, Grün-ökologisches Netzwerk arche (Mitglied von Friends of the earth), Region Berlin-Brandenburg, Sprecher der Projektgruppe Luftreinhaltung

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