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Gerichtsverhandlung gegen AutofahrerHilfssheriff im SUV

Jonas Wahmkow
Kommentar von Jonas Wahmkow

Feuerwehrmann Dirk K. bedrängte einen Radfahrer mit seinem Wagen und packte ihn anschließend mit den Händen. Grund war eine missachtete rote Ampel.

Treffen selten auf Gegenliebe: SUV-Fahrer*innen Foto: dpa

P ressemeldungen geben selten Einblick in das Innenleben oder die Beweggründe der an den wiedergegebenen Sachverhalten Beteiligten. Zurück bleibt nach dem Lesen der paar Dutzend Zeilen meist nur ein Kopfschütteln und ein Gefühl der Ratlosigkeit: Was zum Henker ist da eigentlich vorgefallen?

Gerade Verkehrsmeldungen beschränken sich oft auf die gröbsten Fakten: „Prozess gegen SUV-Fahrer, der einen Radfahrer zunächst bedrängt und dann vom Rad gerissen haben soll.“ – So zum Beispiel liest sich die Vorabmeldung der Deutschen Presse-Agentur, die die Gerichtsverhandlung zu einem im Mai vergangenen Jahres auf der Köpenicker Allee in Treptow stattgefundenen Vorfall ankündigte.

Allein das vorurteilsbehaftete Wort „SUV-Fahrer“ drängt hier bereits einen Deutungsrahmen auf: Wie schon an ihrer missglückten Fahrzeugwahl unschwer zu erkennen ist, sind SUV-Fahrer demnach von Natur aus rücksichtslos. Dass sie gelegentlich Radfahrende abdrängen und sie vom Fahrrad reißen, wäre daher wenig überraschend. Grund genug also, sich einen dieser SUV-Fahrer mal genauer anzuschauen.

Am Montagmorgen sitzt Dirk K. in einem schmucklosen, quadratischen Raum des Amtsgerichts Tiergarten und sagt vor dem Richter aus. „Ick weiß bis heute nicht, was mit mir los war“, versucht sich der 52-Jährige mit zitternder Stimme zu erklären. Als Feuerwehrmann habe er „schon viele Radfahrende unter Autos hervorgekratzt“ und sei sich der Gefahren des Straßenverkehrs eigentlich gut bewusst.

Mangel an Arroganz

Die Situation ist ihm sichtlich unangenehm. Die SUV-Fahrer*innen zugeschriebene Arroganz lässt er aber komplett vermissen. Später entschuldigt er sich bei dem Radfahrer, dem 38-jährigen Dokumentarfilmer Paul L.

Der Grund für die Auseinandersetzung sei gewesen, dass L. eine rote Ampel überfuhr. Diesen Regelverstoß wollte K. nicht ungesühnt lassen. Er versuchte den Radfahrer zum Anhalten zu bewegen, erst durch Zeigen seines Feuerwehrausweises, dann durch mehrmaliges Bedrängen mit seinem Auto. Wenig deeskalativ spuckte Paul L. daraufhin K.s Auto an. Noch weniger deeskalativ parkte dann K. seinen Stadtgeländewagen direkt auf dem Radweg, um L. den Weg abzuschneiden. Das Manöver war erfolgreich. Um weitere Fluchtgefahr zu verhindern, packte Dirk K. den vermeintlichen Über-Rot-Fahrer fest an den Schultern, was einige blaue Flecken zur Folge hatte.

Das Gericht zeigte sich wenig begeistert vom Aktionismus des Feuerwehrmanns und verurteilte ihn wegen Nötigung und leichter Körperverletzung zu 50 Tagessätzen à 80 Euro und drei Monaten Fahrverbot. „Sie haben nicht die Aufgabe, die Einhaltung der Verkehrsordnung durchzusetzen“, so der Richter in seiner Urteilsbegründung am Montag. „Dieses Oberlehrerhafte ist leider weit verbreitet in Deutschland.“

Was lernen wir nun aus diesem Fall? Hinter einer Meldung verbirgt sich oftmals mehr, als gängige Erklärungsmuster glauben machen. Manchmal lohnt es sich, genauer hinzuschauen, um zu verstehen, dass nicht nur eine fehlgeleitete Verkehrspolitik und mangelnde Rücksichtnahme zu Konflikten im Straßenverkehr führen, sondern zuweilen auch ein übertriebenes Rechtsempfinden der Beteiligten.

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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1 Kommentar

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  • Sehr geil finde ich diese Stelle:



    "„Dieses Oberlehrerhafte ist leider weit verbreitet in Deutschland.“



    Was lernen wir nun aus diesem Fall?"