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Gerichtsurteil über Superstar-JuryDie hohe Kunst des Pöbelns

Dieter Bohlens Gefasel in der Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar" ist Kunst, findet das Kölner Sozialgericht. Und damit abgabepflichtig.

Richter erkannten bei der DSDS-Jury "in Ansätzen eine freie schöpferische Gestaltung". Bild: dpa

Der Kandidat ist stinksauer. "So einen Arsch wie Bohlen habe ich noch nie kennengelernt", ätzt der junge Mann in die Kamera. Es ist eine Aufführung der besonderen Art, die die 23. Kammer des Kölner Sozialgerichts gestern dem staunenden Auditorium präsentierte: ein Best of "Deutschland sucht den Superstar", kurz DSDS. Über eine halbe Stunde lang, gefühlt noch viel länger.

Es ging um eine kostspielige Frage, die das Gericht zu verhandeln hatte: Sind die Sprüche, mit denen Dieter Bohlen in der nervtötenden RTL-Sendung sein Publikum beglückt, banale Quotenhurerei, mithin nur biederes Handwerk - oder verbirgt sich in der Casting-Show nicht doch vielleicht hohe Kunst?

RTL hatte dagegen geklagt, dass die Künstlersozialkasse (KSK) nach einer Betriebsprüfung im vergangenen Jahr zu letzterer Ansicht gelang war - und eine Beitragsnachzahlung von exakt 173.462,92 Euro wegen der nicht als künstlerische Tätigkeit gemeldeten DSDS-Jurorenschaft eingefordert hatte.

Die Arbeit des Jurorenteam könne nicht als künstlerische gewertet werden, so argumentierte der Sender, denn Bohlen & Co seien nur als "Experten" gefragt gewesen - vergleichbar einem abgabefreien Auftritt in einer Talkshow. Nach Ansicht der KSK gingen die Jury-Aktivitäten hingegen weit über die reine Benotung von Gesangsleistungen hinaus. Schließlich seien ja auch Bütten- oder Trauerredner abgabepflichtig.

Die KSK ist keine schlechte Einrichtung. Im Gegenteil. Sie bietet Künstlern und Publizisten soziale Absicherung fürs Alter sowie gegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Finanziert wird sie zur Hälfte aus Beiträgen der Versicherten, zu 20 Prozent über einen Zuschuss des Bundes sowie zu 30 Prozent aus der Künstlersozialabgabe. Diese wird bei Unternehmen erhoben, die künstlerische und publizistische Beiträge verwerten. Gemäß dem Künstlersozialversicherungsgesetz gilt dabei als Künstler, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Dazu müsse nicht eine bestimmte Qualität erreicht werden, erläuterte der Vorsitzende Richter Dieter Volk. "Es gibt nicht mehr die klassischen Kunstgattungen", so Volk. "Die Kunst ist aus diesen Käfigen ausgebrochen."

Aber ist Dieter Bohlens Gebrabbel deswegen schon Kunst? Ja, ist es, befand das Kölner Sozialgericht. Bohlen sei zwar kein Trauerredner, so Richter Volk. "Dass er Künstler ist, auch als Juror, das kriegt er hier schriftlich." Eine Berufung gegen das Urteil ist möglich.

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1 Kommentar

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  • TA
    Thomas Albrecht

    "Die KSK ist keine schlechte Einrichtung." schreibt die taz. Das ist leider nur die halbe Wahrheit. Das Bohlen-Beispiel zeigt, dass die KSK wegen ihrer Komplexität eine bürokratische Katastrofe ist. Wenn schon für einen Sender uneinschätzbar ist, ob eine Leistung KSK-pflichtig ist oder nicht, wie soll ein kleiner Betrieb damit kalkulieren. Selbst Kooperationen von Einzelkünstlern werden durch die KSK zu einem organisatorischen Kraftakt, der die Künstler regelmässig überfordert. Ob dadurch der Vorteil der KSK nicht schon aufgebraucht wird?