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Archiv-Artikel

Gerechtigkeit für Realisten

Früher war globale Moral nur für Gutmenschen. Seit Terror und Umweltkrisen auch die reichen Länder bedrohen, sollte sie unsere Politik bestimmen, so ein Report des Wuppertal Instituts

VON BERNHARD PÖTTER

„What are we going to do about the US?“, fragten 2002 die „Friends of the Earth“ auf ihren T-Shirts während des UN-Gipfels in Johannesburg. Jetzt kommt aus Wuppertal die Antwort: „Forget them!“

Denn eine Globalisierung, die Belange der Umwelt und der Armen berücksichtigt, die auf globale Gerechtigkeit setzt, für die kommenden Generationen ein paar Ressourcen übrig lässt und internationale Kooperation statt Konflikte will, werde nicht aus der Neuen Welt kommen. „Im Projekt der zukunftsfähigen Globalisierung liegt die weltpolitische Mission Europas“, schreibt das „Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie“ in seinem neuen Buch „Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit“. Kurz: „Europa hat eine kosmopolitische Berufung – oder gar keine.“ Seit Jahrhunderten hätten die Europäer anders als US-Amerikaner gelernt, dass Fortschritte nur multilateral zu erreichen seien und ein Modell entwickelt, „das den Kern seines Selbstverständnisses ausmacht: eine ökosoziale Marktwirtschaft“. Die sei viel besser als die marktradikalen Modelle geeignet, einen zukunftsfähigen Ausgleich zwischen Nord und Süd, Arm und Reich und Ökologie und Ökonomie zu garantieren.

Die Hauptthese der 12 Autoren aus dem Wuppertaler Thinktank lautet: Gerechtigkeit, einst nur als Kriterium in Nationalstaaten angelegt, werde auch in der internationalen Politik zum zentralen Begriff. Die „Weltgesellschaft“, beim Verkehr, in der Wirtschaft oder den Medien schon ein Begriff, müsse auch eine gemeinsame Ethik entwickeln: „Gerechtigkeit hat für die soziale Welt die gleiche Bedeutung wie das Ökosystem für die natürliche und die Sprache für die kulturelle Welt; sie ist das Rückgrat einer dauerhaften Ordnung. Warum soll das bei der Weltgesellschaft anders sein?“

500 Jahre lang hat ein System funktioniert, in dem Kolonien von der „Triade der Allesfresser (Europa, USA, Japan) ausgebeutet wurden: Uns die Paläste, euch die Hütten. Was 1492 begann, war spätestens am 11. 9. 2001 zu Ende, argumentiert „Fair Future“: „Solange einseitige Abhängigkeiten auf der Welt vorherrschten, war Gerechtigkeit eine Sache für Gutmenschen. Seit wechselseitige Abhängigkeiten an der Tagesordnung sind, ist Gerechtigkeit zu einer Sache für Realisten geworden. Auch die Mächtigen werden von den Leidensfolgen ihrer Taten heimgesucht. Sie können entweder für präventive Kriegsführung optieren oder für präventive Gerechtigkeit.“

Anschaulich zeigt das Buch, wie sich die Industrieländer mit der Hilfe der „globalen Konsumentenklasse“ in den armen Ländern direkt und indirekt den Zugang zu Öl, zu Wasser und fruchtbaren Land, zu den Erzen und den genetischen Ressourcen sichern – zum Nachteil der Armen, der eingeborenen Bevölkerung, der Bauern, der Umwelt. „Der Baumwollzüchter in Mali, dessen Ernte jedes Jahr weniger Geld einbringt, die Bauern in Nigeria, die vertrieben werden, weil unter ihrem Acker ein Ölfeld liegt, die Reisbauern in Bangladesh, die gezwungen sind, ihr Saatgut zu kaufen statt es zu tauschen, sie alle können erzählen, was Gewalt und Einschüchterung, Unterdrückung und Armut ihnen an Gerechtigkeit vorenthält.“

Die Wegweiser zu einer besseren Welt lauten für die Wuppertaler Forscher denn auch: Existenzrechte der armen Menschen garantieren, Ressourcenansprüche in den Industriestaaten zurückbauen, den internationalen Handelsaustausch fair gestalten und historische Nachteile kompensieren. Als Faustregel geben sie aus: „Es ist in jedem Fall ungerecht, Überlebensbedürfnisse der einen den Wohlstandsbedürfnissen der anderen zu opfern.“ Dass eine so simple Wahrheit als Maxime ausgegeben werden muss, verdeutlicht das Problem. Kritik üben die Forscher auch an vielen Hilfsmaßnahmen, in deren Zentrum die Armen und Entrechteten stehen: „Im Vordergrund steht, die Armen hochzupäppeln, und selten genug, den Reichen Schranken zu setzen.“

Auch an Auswegen aus der Misere haben die Forscher gearbeitet. Sie fordern natürlich, den Ressourcenverbrauch drastisch zu senken. Die Welthandelsorganisation WTO müsste man „neu erfinden“, damit sie fairen Handel überwacht, die Öffnung der Märkte mit Augenmaß betreibt oder einfach nur (als Neuigkeit!) die Menschenrechte in ihre Bewertungskriterien aufnimmt. Volkswirtschaftler könnten lernen, dass es einem Land nicht unbedingt besser geht, wenn die Einkommen im Durchschnitt steigen und einige wenige reich werden, während die Massen verarmen. „Menschenrechts-Verträglichkeitsprüfungen“ könnten internationale Verträge begleiten; ein „Klimatreuhandfonds“ könnte von den Verschmutzern international Geld einsammeln und es den betroffenen Armen geben.

„Fair Future“ besticht durch gute Kenntnis der Zusammenhänge von Ökologie und Ökonomie, von Macht und Moral. Es liefert eine einleuchtende Analyse der bestehenden Weltunordnung und macht neue originelle Vorschläge für eine gerechtere Welt. Nur in einem Punkt vermisst der Leser Konkretes: Wenn an Europas Wesen die Welt genesen soll, müsste die Alte Welt erst einmal ihre eigenen Probleme lösen. Wie das vielstimmige Europa zum Gegenmodell des globalen US-Kapitalismus werden soll, könnte Stoff für ein paar weitere Bücher sein.

Das schmälert nicht das Verdienst von „Fair Future“. Die Wuppertaler Forschergruppe zeigen überzeugend, was mit der Globalisierung aus ökosozialer Sicht schief läuft, woher das kommt und was man dagegen tun kann. Und zudem ist der Text ist spannend und verständlich geschrieben.

Wuppertal Institut (Hg.): „Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit“. C. H. Beck, München 2005, 278 Seiten, 19,90 Euro