: Gerechter Zorn - betr.:"Der mündige Bürger stört nur den Investor", taz vom 20./21.1.1996
Betr.: „Der mündige Bürger stört nur den Investor“, taz hh v. 20./21.1.96
Wortgewaltig habt Ihr wieder mal dem Kapitalismus und seinen Schergen die Masken von den Fratzen gerissen: Da wird „inflationär dahergeheuchelt“, da „gähnen besserwisserische Stadtplaner“, da folgt der „kalt lächelnd investorenhörige Oberbaudirektor“ dem „sich nicht entblödenden“ Senator, da taumeln die Investorenknechte zwischen „Geschwafel“, „Arroganz“ und „Ignoranz“ und produzieren „Totgeburten“ und „monströse Klötze“. Da spricht aus jeder Zeile die von Autor und Autorin eingeklagte Dialogfähigkeit, die Liebe zur sachlichen Argumentation.
Entflammt vom gerechten Zorn ist die Sicht verständlicherweise getrübt. Ein paar Beispiele: Beim Süllberg wird die vertragliche Verpflichtung des Eigentümers zum Erhalt des Restaurants und zu anschließender Vermietung zum Selbstkostenpreis auf wundersame Weise uminterpretiert in „Verfall garantiert“. Beim Thema Eisfabrik hagelt es Unwahres: Die Aussage, die Bürgerinitiative hätte ein tragfähiges Finanzierungskonzept vorgelegt, ist ebenso unrichtig wie die Behauptung, es hätte keinen Kontakt zwischen BI und STEB gegeben. Im Gegenteil: Senator Mirow hatte die BI bei einem Besuch in der STEB ausdrücklich um die Erstellung eines Finanzierungkonzeptes gebeten. Auch die Feststellung, daß die Sanierungskosten für die Eisfabrik erheblich über den Neubaukosten lägen, entspringt wider Erwarten nicht der Investorenhörigkeit/Arroganz/Ignoranz abrißgieriger Borniertheit, sondern Untersuchungen des Bezirks.
Rätselhaft auch, inwiefern die zur Zeit – in Kontakt mit der dortigen Anwohnerinitiative – laufenden Prüfungen eines Parks am Pinnasberg als Beleg dafür dienen, daß „Anwohner-Planung in Hamburg grundsätzlich nicht ernst genommen wird“. Und – vorletztes Zitat – „die Liste ist fortlaufend verlängerbar“.
Daß im müde als „Pflicht-Beteiligung“ durchgewunkenen B-Planverfahren durchaus und regelmäßig Änderungen der Entwürfe stattfinden; daß in Hamburg – sicher nicht ohne Schwierigkeiten – neue Verfahren der Bürgerbeteiligung erprobt werden, wie z. B. beim Forum Wilhelmsburg oder in den Pilotgebieten zur Armutsbekämpfung; daß die Beiräte in den Sanierungsgebieten großen Einfluß auf Konzeption und Durchführung der Stadterneuerungsmaßnahmen haben, daß die STEB in zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen (Stadtentwicklungsgespräche, Architekturgespräche, Diskussion des neuen Flächennutzungsplans und Landschaftsprogramms usw.) den Kontakt sucht – all das werdet Ihr sicherlich problemlos unter „Alibifunktion“ abhaken. Denn schließlich wird gegen Ende des Beitrags schon mal prophylaktisch festgestellt: „Anderslautende Behauptungen sind reine Propaganda.“
Glückwunsch! Die anderen unterstellte Immunität gegen Widerworte – Ihr habt sie erreicht. Mit freundlichen Grüßen
Bernd Meyer, Pressestelle Stadtentwicklungsbehörde
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