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Archiv-Artikel

Gerd Fuchs liest aus „Zikaden“

Von PS

Es gibt da dieses surreale Moment in griechischen Mythen. Die ins Unwirkliche kippende Hitze, die allerlei Gestalten aus Büschen wachsen lässt, die zwischen Flora, Fauna und Cro-Magnon changieren. Und dann gibt es Vertonungen wie Debussys Flöten-Solo Syrinx, das die flirrende Oberfläche in versteckte Dimensionen kippen lässt. Zikaden, Titel von Gerd Fuchs‘ jetzt im Literaturzentrum zu präsentierenden Erzählungen, sind weitere Zutat solch halb surrealer Faun-Nachmittage – ein Label, das sofort funktioniert und den Untertitel „Sommergeschichten“ letztlich überflüssig macht.

Atmosphärischen Spuren in Südeuropa folgt der Verfasser, der 2002 edierten Auswanderer. Mit scharfem Reportageblick nimmt Fuchs auch in den Zikaden Details auf, um sie sämtlich vor dem Leser hinzublättern: das Schnarren der Zikaden, das Bellen herrenloser Hunde, das Rumpeln der LKW, den Hirten, dessen Radio die ersehnt archaische Ruhe stört. Und beim Erwandern alter Schluchten wird dem Protagonisten gar leicht panisch ums Herz: Pausenlos wird dem Touristen das Idyll vorenthalten, niemals aber relativiert der auktoriale Erzähler seinen Anspruch auf solch paradiesischen Frieden. Deutlich zeigt sich vielmehr, dass er mit dem Staub des Südens wenig anzufangen weiß.

Rat- und hilflos wandert der Urlauber durch Gebirge und Buchten, analysiert, ohne wirklich zu begreifen – nach Urlaubers Manier eben, der schläfrig darüber nachsinnt, ob das Gehöft dort drüben bewohnt ist oder nicht.

Und so präsentiert der Autor ein halbherzig zersplittertes Idyll, durchtränkt von einer merkwürdigen Larmoyanz des Protagonisten. Doch diesen charmant-morbiden Impressionen die Oberfläche zu zerkratzen – das hat der Autor nicht gewagt. PS

Gerd Fuchs: „Zikaden“. Hamburg 2004, 96 S., 12,90 Euro. Lesung: heute, 20 Uhr, Literaturzentrum, Schwanenwik 38