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Gentlemen’s Sport CricketDas nobelste aller Spiele

Cricket ist die wohl einzige Sportart mit vorgesehener Teepause. Und so kompliziert, dass man erst mal nur eins versteht: Nichts. Ein Erfahrungsbericht.

Glauben Sie dem Foto nicht – meistens steht man bei Cricket nur rum. Bild: reuters

Es war ein nasskalter Aprilnachmittag, von den eigentlich angesagten „Sunny Spells“ konnte keine Rede sein. Doch Schulsport ist Schulsport, zumal wenn er sich der englischsten aller Sportarten widmet. Noch dazu einer, die quasi um die Ecke, jedenfalls hier in der südenglischen Grafschaft Kent, angeblich schon im 14. Jahrhundert von einem früheren Prince Edward höchstpersönlich gespielt wurde, auch wenn sie der Überlieferung nach da noch „Creag“ hieß. Und garantiert nichts mit den schneeweiß angezogenen Herren (und wenigen Damen) von heute zu tun hat, die sich gepflegt auf dem Pitch den Ball um die Ohren hauen.

Von Damen konnte allerdings auch an diesem Aprilnachmittag keine Rede sein, denn in der Dover Grammar School for Boys war jetzt Physical Education angesagt. Genauer: Cricket. Wahrscheinlich war es hohe Ehre, dass wir aus dem Lande Beckenbauers mit seiner einzigen Großsportart Fußball überhaupt aufs Feld rumpeln durften. Das „nobelste aller Spiele“ hatte uns deutschen Austauschschülern unser Economics-Teacher Ian Philpott versprochen, mehr noch als Golf würde es uns lehren, was englisches Sportmanship ausmacht, hatte Philpott gemeint und sich in die Mittagspause verzogen.

Und jetzt standen wir da, zwei deutsche Jungs um die 15 aus dem Ruhrgebiet, guckten im englischen Niesel dumm aus der immer klammer werdenden Wäsche und begriffen nur eins: nichts. Nichts von dem, was der 6th Form Prefect, so eine Art Klassensprecher mit eingebauter Funktion als Oberdenunziant bei den höheren Dienststellen, da an „simple rules of the game“ abschnurrte, war einfach. Eher im Gegenteil – woran sich übrigens bei den 42 Laws und diversen Anhängen, die die Welt des Cricket ordnen, bis heute nicht viel geändert hat.

Egal, nach einem fröhlichen „Sieg Heil“, was damals unter aufgeklärteren englischen Mittelschülern so etwas wie die Standardbegrüßung für gleichaltrige deutsche Gäste darstellte, ging es los: Wir wurden eingekleidet, was sich allerdings auf die Beinschoner beschränkte.

Gleich mal den Batsman

Ich sollte zum Anfang doch gleich mal den Batsman machen, der mit seinem Schläger das Wicket beschützt, hatte mir der Prefect bedeutet, um ein „sense for the game“, etwas Gespür für das Spiel zu bekommen. Wäre es unhöflich gewesen, an dieser Stelle ein freundliches „Actually, I am a complete toss at sports“ einzuschieben und sich im wahrsten Wortsinn vom Acker zu machen? Zumal es stimmte: Im Fußball wurde ich immer als letzter und dann meist auch nur als Torpfosten gewählt.

Doch der diskrete Hinweis auf die eigene Unzulänglichkeit unterblieb. Dafür bekam ich ein Bat in die Hand gedrückt und wurde auf dem rechteckigen Pitch vor einem dieser niedlichen Wickets postiert, die für wahre Cricket-Spieler wahrscheinlich einen Triumphbogen in Miniatur darstellen, eigentlich aber an ein forkenähnliches Gartengerät erinnern, dessen Stiel abgebrochen ist.

Wurf, Schlag, Punkt

Das Duell: Der Werfer (Bowler) versucht den Schlagmann (Batsman) zu einem Fehler zu bewegen, damit dieser ausscheidet. Der Batsman seinerseits versucht den Ball wegzuschlagen, wofür er Punkte (Runs) bekommen kann.

Das Spielfeld: Cricket wird auf einem großen ovalen Platz gespielt. In der Mitte des Spielfeldes befindet sich ein besonders präparierter, 20,12 Meter (22 Yards) langer und 3,05 Meter (10 Feet) breiter Streifen – die sogenannte Pitch. Dort stehen die Wickets.

Profis würden ja mit Helm spielen, meinte ein Typ, der sich danach als mein erster Bowler, also Ballzuschleuderer, herausstellte. Aber er würde schon nicht auf den Kopf zielen, das sei schließlich auch regelwidrig (ein direkt geworfener Ball darf tatsächlich maximal auf Hüfthöhe den „Striker“ treffen).

Was er allerdings nicht dazu sagte: Beim Bowlen wird der Ball eigentlich fast immer so gespielt, dass er vorher mit irrer Geschwindigkeit in den Boden drischt und dann aus Gott weiß für einem Winkel weiterspringt. Prompt kommt der erste Ball, ich werde hektisch, komme nicht dran, der Ball aber auch nicht ans Wicket. Allerdings schmeiße ich durch mein Rumgehampel dieses Ding ganz persönlich um, „Hit Wicket“ heißt das in den Regeln, lese ich später nach.

Die Spielregeln

Zum Glück schmeißen nicht nur wir Deutschen an diesem Nachmittag noch viele Wickets um, überhaupt wird gar nicht richtig gespielt, sondern nur gebowlt, ganz ohne „Runs“. Dabei sind die doch das Entscheidende an diesem ansonsten nicht sonderlich bewegungsstarken Spiel: Trifft der Batsmen den Ball, müssen ihn die Feldspieler der gegnerischen Mannschaft einfangen und wieder aufs Pitch werfen. Und weil so eine kantig getroffene Lederkugel bei voller Geschwindigkeit ganz schön weit fliegt, kann das dauern.

In richtigen Spielen rennen die beiden sich gegenüberstehenden Schlagmänner (die absurderweise einer Mannschaft angehören) jeweils an die gegenüberliegende Schlaglinie, also den Strich, auf dem der jeweils andere vor dem Wicket steht. Diese „Runs“ bringen Punkte, allerdings nur, wenn der Ball noch nicht wieder da ist.

Bild: taz

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Gespielt, aber auch das wurde mir erst viel später klar, wird immer in einer Art Sätzen, bei der die eine Mannschaft bowlt und die andere abwehrt. Offiziell kommt jeder in allen Rollen dran – als Bowler, einfacher Feldspieler, Batsman oder Wicket-Keeper, der mit seinem Handschuh hinter dem Wicket steht und den gegnerischen Ball zu fangen versucht, falls der Batsman ihn nicht weghaut. Sind alle elf Mitglieder einer Mannschaft durch oder durch Myriaden in den „Laws of Cricket“ peinlich genau niedergelegten Fehlern ausgeschieden, ist das „Inning“ zu Ende, und die anderen kommen dran.

Aber so weit waren wir an diesem nasskalten Frühjahrstag anno 1985 noch längst nicht, es gab auch keine Umpires, wie die bei internationalen Spielen bis zu drei Schiedsrichter mit ihren weißen Hütchen heißen. Die Hütchen erinnern dabei immer ein bisschen an Erich Honecker zur Sommerzeit oder an die deutsche Olympiamannschaft bei ihrem glorreichen Einzug ins Stadion vor ein paar Tagen.

Die Umpires auf dem Feld sind die wirklichen Herrscher, versichern englische Freunde, da sorge schon der „Spirit of Cricket“ für. Dieser Sportsgeist sei bis heute so stark, dass Spieler, die einen Regelverstoß begangen haben, sogar von sich aus ausscheiden, wenn es der Schiedsrichter nicht bemerkt und angezeigt hat.

Lange Hosen

Cricket ist eben ein Gentlemen’s Sport, gern ausgeübt von nobleren Klassen und wer sich so alles dafür hält. Davon zeugen auch jetzt im Sommer die gepflegten Cricket-Felder mit ihrem akkurat-englischen Rasen rund ums Pitch, die auch bei lokalen und Freizeitclubs meist weiß gewandeten SpielerInnen und überhaupt die Tatsache, das Cricket so ziemlich die einzige Sportart sein dürfte, bei der man bis heute lange Hosen trägt. Das ist hübsch anzusehen, aber in seiner Urform alles andere als fernsehtauglich, weshalb es heute kürzere Versionen als die üblicherweise über zwei Innings pro Mannschaft gespielten, stundenlangen Begegnungen gibt.

Echtes Cricket bleibt dabei vor allem eins: kontemplativ. Meist steht man rum, es ist die wohl einzige Sportart mit vorgesehener Teepause. Jawohl, Teepause. Und damit britisch-englisch wie sonst nur was.

Trotzdem bleiben bei London 2012 die Umpire-Hütchen der deutschen Olympioniken die einzige Reminiszenz an Cricket. Wenn man mal davon absieht, dass Lord’s Cricket Ground in London – unter englischen Sportgeistern mindestens so heilig wie Wembley – ganz schnöde als Austragungsort fürs Bogenschießen dient.

Aber einmal, „einmal war Cricket olympisch“, sagt Abi Carter vom Marylebone Cricket Club (MCC), der seit 1787 existiert und als „Home of Cricket“ über die Spielregeln wacht. 1900, bei den Spielen in Paris, wurde eine einzige Begegnung England – Frankreich gespielt. Obwohl sich hinter den als Union des Sociétés Françaises de Sports Athlétiques antretenden Spielern ganz überwiegend britische Expatriots verbargen, gewann natürlich England. „Aber Frankreich hält bis heute die Silbermedaille, können Sie sich das vorstellen“, fragt Carter ein bisschen vorwurfsvoll –„ausgerechnet Frankreich!“

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