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Genschers Fantasie und Flexibilität

■ Für Aufrechterhaltung der RGW-Handelsbeziehungen/ Außenminister kam später

Halle. Die traditionellen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen der ehemaligen RGW-Partner untereinander und vor allem mit der Sowjetunion befand Bundesaußenminister Genscher für erhaltenswert. Zur Eröffnung eines zweitägigen Seminars des Auswärtigen Amtes zur Förderung der Handelsbeziehungen ostdeutscher Unternehmen mit den Ländern Mittel- und Osteuropas wies der Minister am Dienstag in seiner vom Staatssekretär Lautenschlager stellvertretend vorgetragenen Rede auf das Interesse Deutschlands an der Weiterführung der gewachsenen Strukturen hin. Allerdings müßten diese den neuen marktwirtschaftlichen Gegebenheiten angepaßt werden. Der Dezentralisierungsprozeß unterbreche nicht nur in der Sowjetunion bisherige Kanäle wirtschaftlicher Zusammenarbeit und zwinge dazu, nach neuen Wegen der Firmenkooperation zu suchen: „Hier sind Fantasie und Flexibilität gefordert.“

Später forderte der leibhaftig erschienene Genscher, daß sich BRD und EG für Importe aus den ehemaligen RGW-Staaten öffnen. „Wenn wir exportieren wollen, dann müssen wir auch importieren, denn das bringt Kaufkraft“ — Zitat Genscher. Klar, daß der Devisenmangel in den östlichen Abnehmerländern das Hauptproblem für Exporte aus den fünf neuen Bundesländern sei. Als wichtiges Instrument für die „finanzielle Flankierung“ benannte Genscher die Hermesbürgschaften. Für die Sowjetunion würden diese durch Sonderkonditionen wie die 100prozentige Verbürgung des Auftragswertes, eine bis zu zehnjährige Kreditlaufzeit und eine tilgungsfreie Zeit bis zu drei Jahren verstärkt. Damit würden wesentliche Wettbewerbsnachteile für ostdeutsche Unternehmen in der Marktwirtschaft abgebaut.

Genscher kündigte an, daß die Sowjetunion beim in wenigen Tagen beginnenden „G7“-Wirtschaftsgipfel in London im Mittelpunkt stehen wird. Allerdings bedeute dies nicht, die anderen Reformländer in Ost- und Mitteleuropa zu vernachlässigen. Voraussetzung für ein großangelegtes gemeinsames westliches Hilfsprogramm für die Sowjetunion sei ein von der Sowjetunion vorgelegtes „wohldurchdachtes und umfassendes Reformkonzept“. Auf die Frage, ob die finanzielle Belastung für die Unterstützung der Reformen im Osten nicht zu groß sei, entgegnete Genscher, er habe deutlich gemacht, daß Deutschland diese Leistungen nicht allein erbringen könne. Dazu brauche man die Solidarität aller Partner im Westen. In diesem Zusammenhang kritisierte Genscher Japan, dessen Engagement zur Unterstützung des Reformprozesses noch nicht so groß sei, wie sich Deutschland das wünsche. taz/adn

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