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Archiv-Artikel

„Genscher wollte keine SED-Diplomaten“

Exbotschafter Werner Kilian missbilligt, dass das Auswärtige Amt viele NSDAPler übernahm, 1990 DDR-Beamte aber kategorisch ablehnte

taz: Herr Kilian, dass ehemalige NSDAP-Mitglieder fast nahtlos wieder Führungseliten bilden konnten, ist Teil der Geschichte des Auswärtigen Amtes. SED-Diplomaten wurden dagegen nach der Wende nicht übernommen. Wollte man damals einen alten Fehler nicht wiederholen?

Werner Kilian: Hier handelt es sich um zwei ganz verschiedene Konstellationen. Die Nazi-Vergangenheit des AA ist nie richtig aufgearbeitet worden. Bei der Wiederbegründung des Amtes 1951 legte Adenauer bei den künftigen Diplomaten vor allem auf ihre Sachkenntnis Wert. Die war ihm wichtiger als ihre politische Vergangenheit. Für Adenauer war klar, dass er Leute, die von den Alliierten entnazifiziert worden waren, auch nutzen konnte. Mitläufertum war für ihn kein Ausschlusskriterium. 1990 gestaltete sich die Sache anders. Hans-Dietrich Genscher, der damalige Außenminister, wollte keinen einzigen SED-Diplomaten übernehmen. Das war eine persönliche Entscheidung, die auf seiner Vergangenheit und seinen Erfahrungen in der DDR beruhte. Auf eine wirkliche Einzelfallprüfung hat er sich gar nicht eingelassen. Genscher dachte sich wohl, dass diese Leute eher Moskau als Bonn gegenüber loyal wären.

Gab es denn aus Ihrer Sicht überhaupt DDR-Diplomaten, die hätten übernommen werden können?

Durchaus. Die Leute waren Experten auf ihrem Gebiet. Die konnten ausgefallene Landessprachen und wussten bestens Bescheid über politische und gesellschaftliche Strukturen in ihren jeweiligen Ländern. Dass man DDR-Botschafter nicht wieder als BRD-Botschafter einsetzt, ist einleuchtend. Viele Diplomaten aus Afrika oder Lateinamerika hätte aber auch Westdeutschland gut im Beraterstab gebrauchen können.

Mit Blick auf die Diplomaten mit NSDAP-Vergangenheit: Haben Sie den Eindruck, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wurde?

Ich halte es für falsch, dass damals überhaupt so viele alte Nazis eingestellt wurden. Aber dass bei ehemaligen DDR-Diplomaten keine Ausnahmen gemacht wurden, war mit Sicherheit auch ein großer Fehler. Viele hätten sich sicherlich auch im bundesdeutschen AA sinnvoll einbringen können. Ich persönlich hätte das durchaus als sehr nützlich angesehen.

Sollte eine NSDAP- oder SED-Mitgliedschaft automatisch Ausschlussgrund beziehungsweise Grund sein, ehemalige Diplomaten nach ihrem Tod nicht mehr ehrend zu erwähnen?

Man kann die Mitgliedschaft in SED und NSDAP nur schwer miteinander vergleichen. Aber einen automatischen Ausschlussgrund sollte sie in keinem Fall darstellen. Diese so genannten Jugendsünden halte ich für eine menschliche Schwäche. Wer ist schon heroisch genug, zu sagen, ich widersetze mich dem System, hänge meine Diplomatenkarriere an den Nagel und werde Schuhmacher. Ich möchte da nicht den ersten Stein werfen. Es gibt genügend Leute, die später ihre Vergangenheit ehrlich bereut haben. Eine Einzelfallprüfung halte ich in jedem Fall für angemessen.

Sollte man also auch weiterhin ehemaliger NSDAP-Mitglieder im Auswärtigen Amt mit einem ehrenden Nachruf gedenken?

Man sollte die Leute nicht auf dem Friedhof erneut entnazifizieren. Man kann den Menschen nicht verwehren, dass sie wollen, dass nach ihrem Tod lobende Worte für sie gefunden werden. Man sollte sich wieder daran gewöhnen, die Leute einfach privat sterben zu lassen, dann müsste man sich über Nachrufe nicht so erregen.

INTERVIEW: PHILIPP DUDEK