Genmais: Heimlich auf den Acker gemacht

Der Norden Brandenburgs ist ein Idyll für alle, die eine gesunde, unbelastete Natur suchen. Doch die Bauern bringen hier auch Genmais aus, zuweilen hinter dem Rücken der Nachbarn.

Ein Monsanto-Mitarbeiter spürt dem Maiszünsler im Genmaisfeld nach Bild: dpa

KREUZBRUCH taz Die Polizei, dein Freund und Helfer. Andrea Gottemeier muss lachen. Die 38-jährige Frau mit den hochgesteckten blonden Haaren und den rot und rosa lackierten langen Fingernägeln meint diesen Satz normalerweise nicht im Ernst.

Im Standortregister des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) sind alle Flächen verzeichnet, auf denen Genmais angebaut wird bzw. werden soll. In dem Register kann jeder einsehen, wo welche Pflanzen freigesetzt werden. Für 2007 wurde eine Fläche von 3.671 Hektar angemeldet. Der größte Teil der Anbaufläche liegt in den neuen Bundesländern, wobei Brandenburg Spitzenreiter ist. Bei dem in Deutschland verwendeten Genmais handelt es sich um den sogenannten Bt-Mais des US-Agrarkonzerns Monsanto. Viele der Landwirte, die Genmais gesät haben, haben mehr Flächen angemeldet, als sie tatsächlich anbauen wollen. Damit halten sie sich alle Optionen offen, die am besten geeigneten Flächen bestellen zu können. Die Risikoprüfung, nach der der Gen-Mais eine Zulassung in der EU erlangte, entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Deshalb muss dieses Jahr ein Wiederzulassungsverfahren beantragt werden. Ende April hat das BVL den Verkauf der Samen zwar vorläufig verboten und eine umfassende Untersuchung der Auswirkungen des Genmais angeordnet, doch die diesjährige Gensaat wurde schon längst auf die Äcker ausgebracht. WAHN

Doch die Zeiten ändern sich. Als ein vergitterter Einsatzwagen mit Beamten in voller Montur Anfang Juni vor ihrem Hof auf- und abfuhr, erkundigte sie sich telefonisch auf dem Revier im nahe gelegenen Oranienburg nach dem Grund. Sie erfuhr, dass der Mais auf dem Acker hinter ihrem Haus genmanipuliert und der Einsatz als Routine zu verstehen sei. Falls Umweltaktivisten das Maisfeld besetzen und "befreien" wollen.

"Dieser Anruf war Gold wert", sagt Andrea Gottemeier. Er hat ihr eine Information beschert, die wichtig und beunruhigend ist. Sie sitzt auf einer Holzbank vor ihrem Hof und ist sauer, richtiggehend außer sich. Denn auf dem Flurstück mit der Nummer 18/2 wächst die Maissorte MON 810 des US-Konzerns Monsanto, ein genmanipulierter Mais, der ein eigenes Gift produziert, das gegen die Maiszünslerraupe, die gefräßige Larve eines Schmetterlings, tödlich wirkt. Das Gift kann aber auch negative Auswirkungen auf geschützte Schmetterlingsarten, Honigbienen, Regenwürmer und natürliche Feinde des Maiszünslers haben. Und was mit dem Menschen ist, weiß noch niemand so genau.

Der Traum vom Tierhotel

Der Acker, auf dem der Mais steht, gehört Andrea Gottemeier. Vor zehn Jahren erwarb die Krankenschwester aus Berlin den Hof und 42 Hektar Land dazu. In Kreuzbruch, einem knapp 200 Einwohner zählenden Ortsteil von Liebenwerder im nördlichen Brandenburg. Es ist eine idyllische Gegend mit Erlebnispfaden, Schafen, Kühen, Klatschmohn, Bauernmärkten, mit Pferdegütern namens "Goldnebelhof", Landgasthöfen namens "Stolzer Heinrich" und Dorfschänken, die "Zum fröhlichen Tropfen" heißen. Für Gottemeier ein idealer Ort, um sich eine knappe Stunde von Berlin entfernt ihren Traum von einem Tierhotel für Hunde und Katzen zu erfüllen. Mit Fußbodenheizung, Late Night Check, familiärer Betreuung, Tiertaxi, einem riesigen Hundeauslaufgebiet am nahe gelegenen Oder-Havel-Kanal: einfach viel Natur und Stille.

Doch mit der Stille ist es vorbei, seit die Polizei da war und Gottemeier in das Standortregister geschaut hat, in dem alle Flächen eingetragen werden müssen, auf denen Genmais angebaut wird. Andrea Gottemeier hatte mit dem Kaufvertrag auch die bereits bestehenden Pachtverträge übernommen. Bis vor wenigen Wochen war sie überzeugt, dass der Pächter normalen Mais anbaut. "Genmanipulierter Mais", ruft sie aus, "das ist der Hammer!" Ihre Stimme geht eine Tonlage höher, so groß ist ihre Empörung. "Ich will das hier nicht haben", schimpft sie. Bei "diesen Freilandversuchen, deren Folgen nicht absehbar sind", will sie nicht mitmachen. "Sonst leuchtet man irgendwann wie eine Taschenlampe." Gottemeier beschreibt sich selbst als "klar und direkt". Dem Pächter wirft sie vor, "durch die kalte Küche zu kommen". Sie hat ihm schon mehrmals geschrieben, aber die Briefe blieben ohne Antwort. Eines ihrer Schreiben endet mit einem Satz, den der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler einst über Willy Brandt gesagt hat. "Die Berühmtheit mancher Zeitgenossen hängt mit der Blödheit der Bewunderer zusammen."

Das Maisfeld in Kreuzbruch ist mittlerweile zu einem Präzedenzfall geworden. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace vertritt jetzt die Interessen von Andrea Gottemeier und übernimmt alle anfallenden Kosten. Greenpeace geht davon aus, dass es wie sie viele Besitzer gibt, die nicht wissen, dass auf ihren Äckern gentechnisch manipulierte Pflanzen wachsen.

Anfang Juni haben Anwälte im Auftrag der Umweltschutzorganisation den Pächter aufgefordert, die Fläche "unverzüglich umzubrechen" und sich zu verpflichten, keinen gentechnisch veränderten Mais mehr anzubauen. Der Pachtvertrag verpflichte ihn zu einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung. "Aufgrund der nicht auszuschließenden Mithaftung unserer Mandantin als Eigentümerin der Felder durch Kontamination auf Nachbarfeldern ist der Anbau für sie bereits während der noch andauernden Pachtzeit ein unzumutbares Risiko." Zudem könnten Gifte im Boden das Pachtland nachhaltig verändern. Deshalb sei der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ohne Erlaubnis der Eigentümerin nicht zulässig. Gottemeier hatte nämlich geplant, den Pachtvertrag, der Ende 2009 ausläuft, nicht zu verlängern. Sie wollte das Land an einen Ökobauern verpachten. "Wer will denn das jetzt noch haben?", fragt sie empört.

Den jetzigen Pächter beeindrucken die Abmahnungen und Fristsetzungen der Juristen nicht. Sein Mais wächst weiter. Ditmar Dessau heißt er, er ist der stellvertretende Bürgermeister des Ortes und betreibt gemeinsam mit seinem Bruder die Agrarproduktion Kreuzbruch. Ihr Hof liegt nur wenige hundert Meter von Gottemeiers Tierhotel entfernt. Es braucht einiges Zureden, bis er sich zu einem Gespräch bereit erklärt. Aus einem einzigen Grund: Er glaubt sich auf der sicheren Seite. "Zu 99 Prozent", wie er bei einer Tasse Kaffee auf seinem Hof sagt, der zu DDR-Zeiten eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft mit über tausend Rindern war.

Dessau, 52 Jahre, Schlappen, kurze Hose, kurzärmeliges Hemd, blickt in den Wipfel der Kastanie auf seinem Hof. Er muss den Kopf weit in den Nacken legen, um bis zur Krone hinaufzublicken. Ein Sturm hat einen fetten Ast in lichter Höhe abgebrochen. "Wenn ich den abbekommen hätte", sagt er ehrfurchtsvoll und holt Luft, "dann hätte Frau Gottemeier ein Problem weniger." Der Ast ist auf das Kopfsteinpflaster gefallen, nicht auf seinen Kopf. Dessau entlockt das ein Grinsen. Er ist kein ängstlicher Typ. Er ist Landwirt. Bei ihm müssen die Erträge stimmen.

Weil ihm der Maiszünsler jedes Jahr einen Großteil seiner Ernte vernichtet hat, hat er gehandelt. Im vergangenen Herbst hat er 30 Säcke mit je 25 Kilogramm MON 810 gekauft. Im Februar hat er den Anbau pflichtgemäß im Standortregister des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit eintragen lassen. Anfang Mai hat er den Mais gesät. "Es reizt einen natürlich zu sehen, inwieweit das gegen die Schädlinge hilft", sagt er. Bisher ist er hochzufrieden. Die Ernte will er an seine Rinder und Milchkühe verfüttern. Um seinen ergiebigen Genmais zu verteidigen, spricht Bauer Dessau vom Hunger in der Welt. "Wenn ich heute in der Situation bin, übermorgen zu verhungern, und ich etwas habe, was mir in fünfzig Jahren vielleicht auf den Magen schlägt, dann esse ich das."

Einen Grund, Andrea Gottemeier über den Anbau des genmanipulierten Maises zu informieren, sieht er nicht. "Warum sollte ich das?", fragt er und blättert in einer Mappe von Innoplanta, die neben seiner Kaffeetasse liegt. Das ist ein Netzwerk von Agrar- und Züchtungsbetrieben mit Sitz in Sachsen-Anhalt, das auf Genmais setzt. Während Greenpeace von gentechnisch verändertem Mais spricht, ist hier die Rede von gentechnisch verbessertem Mais. Innoplant will in diesem Jahr den Anbau mehr als verdoppeln.

"Keiner kann mehr mit Gewissheit sagen, wo Genmais wächst", sagt Ulrike Brendel von Greenpeace. "Landwirtschaftsminister Seehofer hat versäumt, dafür zu sorgen, dass die Gesetze eingehalten und kontrolliert werden." Deshalb die Unterstützung für Gottemeier. Und deshalb die symbolische Besetzung eines Maisfeldes am Donnerstag in Hohenstein, etwa eine halbe Stunde von Kreuzbruch entfernt. 15 Aktivisten haben mit einem Wachturm, Absperrbändern und Horrorfratzen einen "Tatort Genacker" entworfen.

Die Feldbefreiung

Vor knapp zwei Jahren war Hohenstein schon einmal in den Schlagzeilen. Damals kamen 300 Aktivisten der Initiative "Gendreck weg!" in das kleine Dorf in der Märkischen Schweiz. In Begleitung eines riesigen Polizeiaufgebots - auf fast jeden Demonstranten kam ein Polizist - veranstalteten sie eine sogenannte Feldbefreiung. Adressat ihres Protests war der Bauer Jörg Piprek. Der hatte auf einem zehn Hektar großen Flurstück Monsanto-Mais gesät. Auch die neue Aktion richtete sich gegen ein Maisfeld von ihm. "Ein illegales", wie Greenpeace sagt. In Hohenstein wird nach Überzeugung der Umweltschützer widerrechtlich Genmais angebaut. Strafanzeige wurde bereits gestellt. Der Landwirt habe die Saat nicht den Behörden gemeldet. Damit verstoße er gegen das Gentechnikgesetz.

Pipreks Verpächter kann das kaum glauben. Er lebt 600 Kilometer entfernt im Taunus und sagt am Telefon: "Ende März, als ich eine Änderung des Pachtvertrages wollte, hat mir Piprek zugesichert, nichts gegen meine Interessen zu machen. Ich möchte den Genmais nicht haben, und deswegen wehre ich mich dagegen." Noch hat er nicht entschieden, ob er sich wie Andrea Gottemeier von Greenpeace vertreten lässt. Obwohl er Piprek bisher vergeblich zu sprechen versucht hat, hofft er noch immer auf einen klärenden Anruf. "Das grenzt an Vertrauensbruch," sagt er. Weil der Bauer den Genmais doch ganz legal hätte anbauen können. Und weil er "immer an das Gute im Menschen glaubt". Denn dass der Zufall mit im Spiel ist, kann der Eigentümer nicht glauben. Auch er weiß, aus Versehen sät kein Bauer Genmais.

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