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Generationenkonflikt Wer ist hier das Arschloch?

Uns wurde eingeflößt, Respekt vor den Alten zu haben. Doch alte Menschen denken, sie dürfen alles – und werden immer übergriffiger. Soll man als Gen-Z freundlich bleiben oder zurückkanten?

Verschiedene Generationen machen unterschiedliche Erfahrungen. Vielleicht hilft einfach zuhören? Foto: dpa | Nick Ash

taz FUTURZWEI | Es gibt ja Leute, die Berlin im Herbst nicht mögen. Manche verlassen die Stadt sogar. Es wird schneller dunkel, die Menschen sitzen weniger draußen und die Stadt zeigt ihre harte Fratze.

Ich hingegen liebe diese Zeit: Verabredungen finden in Kneipen statt, die Menschen tragen endlich wieder Mäntel und sehen schick aus. Außerdem ist die Lesungs- und Theatersaison im vollen Gange. Für mich endet nichts, stattdessen steht alles auf Anfang. Es kommt auf die Perspektive an!

Als ich das alles auf dem Fahrrad unter einen Insta-Post für meine herbstdepressiven Freund:innen schreibe und kurz aufblicke, sehe ich in zwei entsetzte Augen eines um die 70-jährigen Mannes.

Trotz Sicherheitsabstand packt er mich am Arm und verwandelt mich in Sekundenschnelle in ein siebenjähriges Kind. „Bist du irre? Pack dein Handy weg!”, schreit er und ruckelt weiter an meinem Arm.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 28, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 30, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Hab Respekt vor dem Alter?

Okay, es gibt allerdings eine Sache, die hier mit jeder Jahreszeit konstant bleibt und einfach nicht schönzureden ist: Es sind die alten Menschen, die immer übergriffiger werden, die denken, sie dürfen alles, weil sie alt sind.

Seit fast zehn Jahren wohne ich jetzt in Berlin und habe diese Veteranen unserer Gesellschaft mit Nachsicht behandelt. Wie ich es von kindauf gelernt hatte: ‚Hab Respekt vor dem Alter!’

Aber das hat zu überhaupt nichts geführt. Und wer immer das Gleiche probiert, wird auch immer das Gleiche herausbekommen. Das sagt sowohl Albert Einstein als auch meine Mutter, und die hat Psychologie studiert. Also entscheide ich mich jetzt zum ersten Mal für eine andere Strategie.

„Fassen Sie mich nicht an, Fassen Sie mich nicht an!”, schreie ich hysterisch, lasse mein Fahrrad zu Boden fallen und halte einen Finger drohend auf den Mann. „Sie Alter, Sie …” „…Arschloch!”, pariert der Alte, schüttelt den Kopf und sieht mich ernst an. „Haben Sie gar keine Manieren?”

Kurz darauf ist er um die Ecke verschwunden.

Wut auf die Nullbockgeneration

So geht das nicht weiter, denke ich und an eine Situation, die ich gestern im Backshop erlebt habe. Rückblick:

An der Kasse steht eine hagere, alte Frau mit einem Brot und fährt den etwa 20-jährigen Verkäufer an, der ihr immer wieder erklärt, dass er das Brot nicht schneiden darf. „Das ist steinhart und kostet sieben Tacken, das sind 14 Mark“, zetert sie. „Und dann nichts leisten wollen. Kein Wunder, dass mit Ihrer Nullbockgeneration alles den Bach runtergeht!“

Vermutlich sind es die Gedanken an ihre schwachen Hände, die ihre Miene aufweichen und sie so verzweifelt auf das Brot schauen lassen, wie meine Oma wenn sie mich fragt, wieso ihr Handynavi nicht deutsch sprechen kann. „Für sieben Euro können Sie das doch schneiden! Oder müssen Sie da Onkel Google fragen?“

Die Frau schimpft bestimmt fünf Minuten weiter über den unschuldigen 20-Jährigen bis schließlich der Chef des Ladens von einem der Tische aufsteht und ihr unter Betonung, hier eine Ausnahme zu machen, das Brot in Scheiben schneidet.

Binnen einer Sekunde schlägt die Stimmung in pure Harmonie um. Die Alte tippelt plötzlich aufgeregt wie ein kleines Mädchen neben dem Mann auf der Stelle, tätschelt ihm die Schulter und verlässt beschwingt den Laden. „Schönen Tag nohoch!”

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Die größten Ängste der Deutschen

Ich sehe dem alten Mann hinterher, der mich Arschloch genannt hat. Gut, vielleicht ging es im Backshop auch um etwas anderes. Die alte Frau war wirklich alt und das ungeschnittene Brot wirkte in ihren Händen wie ein Sack Zement.

Außerdem hat eine jüngst veröffentlichte Studie der R+V Versicherung gezeigt, dass seit 2022 die Angst vor der Erhöhung der Lebensmittelkosten den ersten Platz unter den Ängsten der Deutschen belegt.

Schaut man die ewige Rangliste der Deutschen Ängste seit 1992 an, steht Inflationsangst mit fünfzehn Erstplatzierungen an oberster Stelle. Vielleicht hat das sieben Euro teure Brot die alte Frau also noch zusätzlich getriggert.

Die Alten sind in unserer schnellen Zeit oft überfordert – mit dem entfesselten Kapitalismus und mit jungen Menschen wie mir, die, mit ihrem Blick aufs Handy gerichtet, immer kurz davor sind, alte Männer zu überfahren.

Es gibt also viele Gründe, wieso Menschen dünnhäutig sein können. Aber rechtfertigt das ihre Beleidigungen, die die Jüngeren treffen, die ja nun auch zu den vulnerableren Gruppen der Gesellschaft zählen?

Die alte Frau hat ihren Willen bekommen, obwohl sie total unhöflich zu dem jungen Verkäufer war, der ja auch nichts für seine Dienstvorschrift oder den Brotpreis konnte. Hätte sie ihr Brot an dem Tag nicht bekommen, wäre sie vielleicht dazu gezwungen, ihr Verhalten zu überdenken und in Zukunft etwas freundlicher zu sein oder zumindest von Beleidigungen abzusehen, wenn sie eine Nettigkeit erwartet, denke ich. Oder sie hätte zur Strafe AfD gewählt.

Wann ist Unfreundlichkeit angebracht?

Vielleicht ist das Nachgeben vor dem Alter einer der Glaubenssätze meiner Jugend in Merkel-Jahren, der wie die Idee vom unbedingten Pazifismus und der Ablehnung der Bundeswehr als moralisch einwandfreie Haltung überdacht werden muss.

Muss ich vielleicht aufhören, freundlich zu sein, wenn die Alten fies bleiben?

Im aktuellen Philosophie Magazin steht, dass sowohl Kapitalisten als auch Kommunisten die Wirksamkeit von Freundlichkeit anzweifeln. Erstere, weil ihrer Meinung nach nicht das liebe Wort oder Lächeln, sondern die unsichtbare Hand des Marktes Erfolg in Glück verwandeln, wohingegen die anderen der Meinung seien, dass Freundlichkeit die Revolution verhindere. Gleichzeitig würde gelebte Freundlichkeit Glückserfahrung fördern – etwas, das auf den Freundlichen zurückwirkt.

Unfreundlichkeit muss in unserer Gesellschaft also kein Ist-Zustand sein, da es sich bei Freundlichkeit um eine Tugend handele, die wie ein Instrument oder eine Sportart ständig geübt werden könne. Vielleicht geht es also gar nicht ums Nachgeben – wenn man sich selbst vor dem Frust der Alten oder die Alten vor sich selbst schützen will, dann ist der einzige Weg vielleicht die Freundlichkeit.

Ich fahre dem Alten hinterher und platziere mich vor ihm auf der Straße.

„Tut mir leid, ich …“

„Die Jugend ist nur noch am Handy”, blafft er zurück, dann hält er kurz inne. „Ich war ja auch mal so wütend wie Sie … aber …“

„Sie hatten damals kein Handy!“

„Nein, und das war gut so! Das können Sie mir glauben!“

Ja, genau, und später werde ich das in meiner Insta-Story erzählen, denke ich.

„Sehen Sie, genau so müssen wir doch miteinander reden”, sagt der Mann.

Ich glaube, in seinem Gesicht eine Träne zu sehen, als er mir angerührt die Hand auf die Schulter legt. Aber weil das kein Film, sondern Deutschland im Herbst ist, geben wir uns einfach die Hand.„So…“, sage ich. „Ja tschüss”, antwortet der Mann.

Meinen nächsten Wut-Rentner werde ich umarmen, denke ich auf dem Weg nach Hause.

Draußen wird es zu dieser Jahreszeit viel zu schnell ungemütlich, da muss man mit Wärme dagegen halten.

■ „Stimme meiner Generation“ heißt die gemeinsame Online-Kolumne von Aron Books und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für unser Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber hinaus.

■ Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI N°34 mit dem Titelthema „Zahlen des Grauens“ gibt es jetzt im taz Shop.