: Gen–Archiv setzt sich zur Wehr
■ Betroffene Frauen berichteten in Bochum über die BKA–Aktion gegen ihre Einrichtung Gen–Archiv will sich nicht kriminalisieren lassen / Erklärung soll Öffentlichkeit aufrütteln
Bochum (taz) - Umlagert von zahlreichen Zivil–Beamten informierten sich am Sonntag abend rund 70 Menschen während einer Veranstaltung in Bochum über die großangelegte Durchsuchungsaktion des Bundeskriminalamtes am vergangenen Freitag. Anwältinnen und betroffene Frauen berichteten über den Ablauf einzelner Durchsuchungen (siehe taz vom 21.12.) Danach haben sich die Beamten zwar keine Verwüstungsorgien geleistet, häufig allerdings die Anwesenheit von Zeugen unterbunden. In einem Fall wurde Hausbesitzern mitgeteilt, man suche Sprengstoff und „alles Röhrenförmige, woraus Bomben gebastelt werden können“. Auch herbeigeeilte Rechtsanwälte, sofern ihnen nicht der Zutritt rechtswidrig verwehrt wurde, erhielten nur die lapidare Auskunft, es gehe um den §129a (Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung). Da niemand den genauen Anlaß der Aktion erfahren hat, sind die Einschätzungen noch vage und unterschiedlich. Auf der Bochumer Veranstaltung herrschte die Meinung vor, daß die Bundesanwaltschaft hauptsächlich darauf abziele, Frauengruppen und Einzelfrauen zu kriminalisieren, die sich in irgendeiner Form öffentlich zu Gen– und Reproduktionstechnologien verhalten. Bei dieser Bewertung stützen sich die Frauen auf ihnen bekannte Betroffene, zu denen insbesondere auch Beschäftigte des Essener Gen–Archivs gehören. In einer anschließenden Diskussion waren sich die beteiligten Frauen einig, daß mit weiteren Polizeiaktionen zu rechnen ist. Vor den Wohnungen einiger nicht angetroffener Personen lauern seit Tagen BKA– Beamte. Mitbewohner werden zum Teil auf ihren Wegen „unauffällig begleitet“. Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, haben sich Frauen des Essener „Gen–Archivs“ mit folgender Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt (auszugsweise): „Im Rahmen einer bundesweiten Durchsuchungs– und Festnahmeaktion vor allem gegen Frauen und Frauenprojekte wurde das Genarchiv Essen von ca. 15 Beamten des Bundeskriminalamtes und der örtlichen Polizei durchsucht. Im Genarchiv als auch in den Wohnungen wurde eine Menge von Papieren „sichergestellt“, die sich z.B. mit Humangenetik, Pränataldiagnostik, gentechnologischen Forschungsvorhaben usw. beschäftigen. Arbeitsunterlagen von uns Frauen, wie Vortragsentwürfe, Seminarvorbereitungen, gedruckte Arbeiten, Rundfunk– und Videoaufnahmen wurden beschlagnahmt. Wir wurden vorübergehend festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Die ganze Aktion fand unter einem immensen Aufgebot bewaffneter Polizei statt, die Straße und Hausflur abriegelte. Als Grund für das alles wurde uns lediglich mitgeteilt, daß wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§129a)“ gegen uns ermittelt würde. Das Genarchiv Essen ist eine Eigeninitiative von uns Frauen und befindet sich in privat angemieteten Räumen der Führichstraße 15. Dort befindet sich ebenfalls die ärztliche Praxis einer Mitarbeiterin des Genarchivs. Diese Praxis wurde gleichermaßen durchsucht. Wir archivieren hier Pressemitteilungen und recherchieren selbst in Fachpresse und Unibibliotheken. Zur Schwerpunktfragen geben wir Stellungnahmen heraus. Wir stellen unser Material Einrichtungen zur Verfügung, die zu Fragen der Gentechnologie arbeiten. Dies sind unter anderem Frauengruppen von Kirche, Gewerkschaft und Parteien und Bildungseinrichtungen für Lehrer und Jugendliche. Unser Archiv ist für Einrichtungen und Privatpersonen zu bestimmten Öffnungszeiten zugänglich. Wir lassen nicht zu, daß unsere Arbeit durch die Polizeiaktion zur kriminellen Tat wird und machen unbeirrt weiter.“ pb
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