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Archiv-Artikel

Gen-Orakel am Küchentisch

Über das Zusammenspiel von Genen und Ernährung ist bisher nur wenig bekannt. Doch während die Forschung noch am Anfang steht, drängen bereits die ersten Unternehmen mit Gentests und fragwürdigen Ernährungstipps auf den Markt

Bislang werden diese Gentestsnur in der Forschung eingesetzt

VON KATHRIN BURGER

Obwohl alle Vertreter der Art Homo sapiens dieselben Gene in sich tragen, sieht jeder Mensch anders aus. Kleine Veränderungen an einzelnen Genbausteinen – SNPs genannt – sind dafür verantwortlich, dass der eine groß ist, dunkle Haare und grüne Augen hat, während sein Nachbar blond, blauäugig und von kleiner Statur ist. Und auch der Stoffwechsel wird von den SNPs unterschiedlich gesteuert. So kann Herr Mustermann viel Torte essen, ohne dick und krank zu werden. Herr Müller muss dagegen Diät halten und sich sportlich betätigen, um Gewicht und Blutzuckerwert niedrig zu halten.

Dass nicht für alle Menschen die zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gelten können, entdeckt derzeit die junge Disziplin „Nutrigenomics“. Sie untersucht, wie Ernährung und Gene gemeinsam Gesundheit und Krankheit beeinflussen. Mit der Entschlüsselung des Genoms entwickelt sich diese Richtung der Ernährungswissenschaft rasant. Kaum eine Studie, die umhin kommt, auch einen Blick in die genetische Ausstattung der Probanden zu werfen.

Ein prominentes Beispiel ist das Gen MTHFR. Das aus diesem Gen entstehende Enzym spielt eine Rolle bei der Umwandlung von Homocystein. Dieser Stoff gilt als Risikofaktor für Herzkrankheiten. Eine Variation im MTHFR-Gen kann zu erhöhten Homocystein-Spiegeln im Blut führen. Zwei B-Vitamine senken jedoch Homocystein. Nimmt ein Betroffener zu wenig dieser Vitamine etwa über Grüngemüse und Fleisch auf, könnte er früher oder später unter Arterienverkalkung und Herzinfarkt leiden.

Menschen, die keinen SNP in diesem Gen haben, sind weniger gefährdet und müssen somit auch nicht auf den B-Vitamin-Gehalt ihres Essens achten.

Um die Forschung auf diesem Gebiet zu bündeln, gibt es bereits große Anstrengungen. In der Region Potsdam-Berlin beteiligen sich Forschungsinstitute und Firmen am Kompetenznetz Nutrigenomik. Seit 2002 sind 16 Projekte mit rund 14 Millionen Euro, unter anderem vom Bund, gefördert worden. Erste Erfolge haben die Wissenschaftler vor allem in der Diagnostik erzielt: Biochips erlauben die gleichzeitige Identifizierung mehrerer SNPs – schnell und billig.

Doch bislang werden diese Tests nur in der Forschung eingesetzt, etwa um die Ursachen ernährungsbedingter Erkrankungen zu verstehen. Anfang März, beim Statusseminar Nutrigenomik, räumte Hans-Georg Joost vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung allerdings ein: „Es handelt sich hier um Neuland. Wir wissen noch sehr wenig über die Zusammenhänge von Genen und Ernährung.“

Die Forschung steht also noch am Anfang und doch drängen bereits erste Firmen, auch deutsche, auf den Markt, die Gentests übers Internet anbieten. Von „gefährlichem Wildwuchs“ spricht Claus Bartram, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik (GfH). Für mehrere hundert Euro könne man Tests aus nicht ärztlichen Labors kaufen, die die Erbsubstanz scannen. Das Ergebnis gibt beispielsweise Auskunft über Suchtanfälligkeit, Neigung zu Osteoporose oder Krebs. Per Post sendet man eine Speichelprobe ins Labor. Die Diagnose folgt dann schriftlich. In USA und Kanada gibt es Firmen, die solche genetischen Prädispositionen bereits mit Ernährungstipps unterfüttern – mit der Suggestion: Wenn du dich nach deinem Genprofil ernährst, bleibst du gesund.

Doch so einfach ist die Sache nicht: Der Homocystein-Spiegel im Blut beispielsweise ist von mehreren Genen abhängig. Krankheiten wie die Phenylketonurie entstehen dagegen, weil ein einzelnes Gen defekt ist. Mit einer Diät, die fast ohne die Aminosäure Phenylalanin auskommt, ist diese Krankheit kontrollierbar. Aber bei Herzinfarkt, Krebs und Diabetes sind die Interaktionen extrem komplex. Typ-2-Diabetes soll beispielsweise von 300 Genen abhängig sein. Zudem erlauben Gene nur einen Einblick in Wahrscheinlichkeiten. Aussagen darüber, ob eine Krankheit dann tatsächlich eintritt oder ausbleibt, sind momentan nicht möglich.

Experten fordern darum: Wenn schon Tests, dann mit ausführlicher Beratung. Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) schreibt etwa in einem Hintergrundpapier: „Wegen der begrenzten Aussagekraft von Gentests auf chronische Leiden wie Herzkrankheiten, Diabetes, Krebs oder Alzheimer wird eine humangenetische Beratung für unverzichtbar gehalten.“ Bei der GfH ist man der Ansicht, dass nur Fachärzte für Humangenetik zu dieser Beratung berechtigt sein sollten. Man geht von einem Bedarf von jährlich 120.000 Beratungen aus – dafür fehlten jedoch rund 350 Fachärzte.

Zudem fordern die TAB-Experten eine „Absicherung und Präzisierung durch ein Gendiagnostikgesetz“. Dieses Gesetz ist zwar geplant, liegt aber derzeit wieder auf Halde. In der rot-grünen Bundesregierung hatte man sich schon weitgehend über einen gemeinsamen Entwurf geeinigt. Das rot-grüne Vorhaben scheiterte aber, weil der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) darauf bestand, dass die Sicherheitsbehörden Zugriff auf alle genetischen Daten bekommen sollten. Das wollten die Grünen jedoch nicht mitmachen.

Mit dem Gesetz sollten alle genetische Untersuchungen – für medizinische Zwecke, im Versicherungswesen, im Arbeitsleben und für die Forschung – geregelt werden. Es müsse klargestellt werden, so fordern die TAB-Autoren, dass Menschen, die Gentests gemacht haben, nicht aus Versicherungen ausgeschlossen werden dürften. Mit diesen ethischen Fragen befassen sich derzeit auch die Nutrigenomiker.

Dass sich die Entwicklung Richtung „Diagnose am Küchentisch“ unterdes kaum aufhalten lässt, darüber ist man sich einig. Denn die Nachfrage ist da: Vor allem kaufkräftige, gesundheitsbewusste Frauen sind bereit, für solche Diagnosen tief in die Tasche zu greifen. Und wo ein Markt ist, gibt es auch Anbieter.