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Gemischtes Doppel

Von Jens Spahn und Matthias Miersch, den Fraktionschefs von Union und SPD, hängt es ab, ob die Koalition künftig einigermaßen erfolgreich regieren kann. Bei der RichterInnenwahl ging das kräftig schief. Wie geht’s jetzt weiter?

Aus Jüchen, Laatzen und Berlin Sabine am Orde und Nadine Conti

Gut 20 Minuten hat Jens Spahn nun schon über all das geredet, was die Bundesregierung in den ersten 100 Tagen aus seiner Sicht so alles angeschoben hat, für Wirtschaftswachstum, gegen irreguläre Migration, in der Außenpolitik. Am Ende räumt er ein, dass man in der Koalition mit der SPD „einen etwas besseren Geist“ entwickeln könne. Es sei zwar „keine Liebesheirat und auch kein Projekt“, sagt Spahn, aber: „Wir sind in der Zusammenarbeit zum Erfolg verpflichtet.“

Der Fraktionschef der Union war am Mittwoch im NRW-Kommunalwahlkampf unterwegs. Am Abend ist er in Jüchen angekommen, einer kleinen Stadt im Rheinland, der Braunkohletagebau Garzweiler ist gleich nebenan. Ein Mann fragt nach den Zukunftsaussichten seiner Ölheizung, ein anderer nach der Sanierung von Brücken. Ein Dritter will, dass mehr Geld ins Ahrtal fließt statt in Entwicklungshilfe. Keine einzige Frage zum Zustand der Koalition, dem Streit zwischen Union und SPD. Das überrascht Spahn.

Der 11. Juli, jener Freitag, als die vereinbarte Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht im Bundestag scheiterte, war einer der Tiefpunkte in Spahns Karriere. Die Mehrheit in der Unionsfraktion stand nicht, als Fraktionschef war das seine Verantwortung. Matthias Miersch, Spahns Counterpart bei der SPD, sparte nicht mit harten Worten, indirekt stellte er die Basis der Koalition in Frage. Der Kanzler hatte versprochen, mit einer ersten Positivbilanz in die Sommerferien gehen; stattdessen beherrschten die unzuverlässige Unions­fraktion und der Streit in der Koalition die Schlagzeilen. Ein Debakel.

Spahn und Miersch müssen daraus nun gemeinsam einen Ausweg finden. Von den beiden Fraktionsvorsitzenden hängt es maßgeblich ab, ob die Koalition künftig halbwegs erfolgreich regieren kann. Sie müssen die Fliehkräfte in ihren Reihen in Schach halten und dafür sorgen, dass die Regierungsvorhaben im Bundestag eine Mehrheit finden. Der Druck ist riesig. Alle wissen, dass von einem Scheitern dessen, was schon heute nicht mehr Große Koalition genannt werden kann, vor allem die AfD profitieren würde. Wie dann die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag wären und wie eine Regierungsbildung gelingen könnte, ist völlig offen.

„Wir können jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“

Matthias Miersch, Fraktionschef der SPD

Am Donnerstag und Freitag kommen die beiden Fraktionsvorstände in Würzburg zu einer zweitägigen Klausur zusammen. Als vertrauensbildende Maßnahme einerseits. Vor allem aber will die Koalition mit einem positiven Signal in die zweite Jahreshälfte starten. Da stehen weit schwierige Themen an als die Wahl einer Verfassungsrichterin, auch wenn das auch noch gelöst werden will: der Haushalt, das Sondervermögen und die Rente, verschiedene Energiegesetze, die Wehrpflicht.

Es gibt Teams an der Spitze von Regierungskoalitionen, die geltenals nahezu perfektes Paar. Peter Struck von der SPD und sein CDU-Kollege Volker ­Kauder sollen sogar Freunde geworden sein. Bei Spahn und Miersch kann man sich das schwer vorstellen. Sie könnten politisch und menschlich kaum unterschiedlicher sein.

Miersch ist ein SPD-Linker, Spahn gehört zu den Rechten in der CDU. Der Sozialdemokrat, der erst erfolgreich als Anwalt arbeitete, war lange ein Mann der zweiten Reihe, bis er nach dem überraschenden Rücktritt von Kevin Kühnert den Posten des Generalsekretärs übernahm. Er ist ein Mann der eher leisen Töne und parteiübergreifend als versierter Umweltpolitiker anerkannt. Spahn ist 45 Jahre alt und damit 11 Jahre jünger als Miersch, aber schon deutlich länger in der Politik; der Christdemokrat sitzt seit 23 Jahren im Bundestag. Er gilt als breitbeinig, provokativ, ehrgeizig. Merkel hat er von rechts so lange bedrängt, bis sie es für nötig hielt, ihn als Gesundheitsminister in die Kabinettsdisziplin einzubinden. Dann kam Corona, und jetzt hängen Spahn überteuerte Maskendeals nach. SPD-Vizekanzler Lars Klingbeil kann sich wohl auf Miersch verlassen, Spahn hingegen trauen auch viele Christdemokraten zu, dass er Merz gerne beerben will. Lieber früher als später.

Am Dienstag sitzt Matthias Miersch in der Albert-Einstein-Schule in Laatzen bei Hannover, der SPD-Fraktionschef hat hier selbst Abitur gemacht. Er ist mit einem Tross Jour­na­lis­t*in­nen unterwegs, auf Sommerreise in seinem Wahlkreis. „Herr Miersch“, sagt eine Schülerin jetzt, sie liest die Frage von einem Zettel ab, „wir haben in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass Sie sich mit der CDU zu einem Grillfest treffen. Was erwarten Sie denn da?“ Für Mitte September, wenn der Bundestag wieder tagt, ist ein gemeinsames Grillen der beiden Fraktionen geplant. Es soll, wie die Fraktionsvorstandsklausur, zur Vertrauensbildung beitragen. „Also meine Erwartungen sind ganz, ganz niedrigschwellig“, antwortet Miersch der jungen Frau. Man müsste sich eben besser kennenlernen. Ob das gelingt, wisse er nicht. Manche SPD-Kollegen wollten ja nicht mal kommen.

Auch in der Unionsfraktion ist die Begeisterung nicht groß. Als Merz im Mai vorschlug, mit der SPD ein gemeinsames Sommerfest zu veranstalten, fiel der Vorschlag in der Fraktion durch. Spahn betont am Rande des Jüchener Bürgerdialogs im Gespräch mit der taz, dass man am „Atmosphärischen“ arbeiten müsse: „Die Koalition ist jetzt 100 Tage im Amt. Vertrauen muss wachsen – gerade bei denen, die sich noch nicht so gut kennen.“ Er verstehe die Verärgerung bei der SPD, auch das sagt Spahn. „Das hätte so nicht passieren dürfen. Das habe ich Matthias Miersch auch gesagt. Jetzt müssen wir den Blick nach vorn richten.“

SPD-­Fraktions­chef Matthias Miersch war lange ein Mann der zweiten Reihe. Dann übernahm er von Kevin Kühnert Foto: Jens Gyarmaty

Gemeinsames Grillen wird für Miersch das Geschehene kaum verdrängen. Wie geht es weiter mit dieser Koalition – nach dem Debakel um die Wahl von Brosius-Gersdorf? Das wollen nicht nur fast alle Jour­na­lis­t*in­nen auf seiner Sommerreise wissen. Miersch selbst hält den Fall für einen Einschnitt. „Mir ist klar, dass für viele Leute vor Ort andere Dinge wichtiger sind“ sagt er beim Bürgergespräch im „Calenberger Treff“ in Wennigsen, das eher ein Genossengespräch ist. Aber die gescheiterte Richterinnenwahl sei, so Miersch, „wirklich eine Zäsur, weil es rechten Netzwerken erstmals gelungen ist, einen solchen Einfluss zu nehmen. Wir können jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. So etwas darf sich niemals wiederholen.“

Dies gelte auch angesichts einer AfD, die nur darauf lauere, dass diese Koalition auseinanderfliege. Einer Bundestagspräsidentin Klöckner, die mit ihrem Auftritt beim Sommerfest in den Räumen des größten Nius-Finanziers solche Netzwerke auch noch unterstütze. Und auch angesichts einer CDU-Abgeordneten wie Saskia Ludwig aus Brandenburg, die offen mit einer Kooperation mit der AfD liebäugele. „Und ich weiß nicht, wie groß die Gruppe innerhalb der CDU-Fraktion ist, die damit kein Problem hat“, sagt Miersch. Die Genossen klatschen.

Der SPD-Mann muss – im Gegensatz zu Spahn beim Besuch bei der Jüchener CDU – die Causa Brosius-Gersdorf hier betonen, der Unmut unter den So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen darüber ist groß und will besprochen werden. Misstrauisch ist man gegenüber der Union ohnehin. Dass Merz im Wahlkampf von „linken und grünen Spinnern“ gesprochen und damit zweifellos auch die SPD gemeint hat, dass Spahn sich für eine gewisse Normalisierung der AfD aussprach und auch die Abstimmung im Bundestag Ende Januar, bei der die Union für Merz’ Fünf-Punkte-Migrationsplan wissentlich eine Mehrheit mit der AfD in Kauf nahm – all das haben die So­zi­al­de­mo­kra­t*in­nen nicht vergessen.

Glaubt trotz viel Kritik weiter an seine politische Karriere: Jens Spahn, Fraktions­vorsitzender der CDU Foto: Stefan Boness/Ipon

Aber ihnen sitzt auch die eigene Lage in den Knochen: das Scheitern der Ampel. Das desaströse Wahlergebnis und die damit verbundene Schrumpfkur auf nur noch 120 Mandate. Das rigorose Powerplay Klingbeils bei der Postenbesetzung nach der Wahl. Die größte Angst ist nun, dass selbst die Dinge, die man erfolgreich in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt hat, nicht wirken können und nicht sichtbar werden, weil sich – schon wieder – der Eindruck einer ewig zankenden Koalition davorschiebt.

In der Unionsfraktion wiederum kreidet man der SPD die vielen Zugeständnisse an, die CDU und CSU trotz ihres deutlichen besseren Wahlergebnisses gemacht haben. Auch Merz’ zahlreiche Kehrwendungen, von der Lockerung der Schuldenbremse bis zum Stopp solcher Rüstungsgüter nach Israel, die in Gaza eingesetzt werden können, führen viele in der Union auf den Druck der SPD zurück. „Die Fraktion ist eine andere als noch vor ein paar Jahren“, sagt Spahn. „Viele sind neu dazugekommen, junge selbstbewusste Abgeordnete. Ich finde das gut.“ Gleichzeitig müssten alle verstehen, dass nicht jeder für sich allein gewählt worden sei. „Wir sitzen da, um zusammen für dieses Land einen Unterschied zu machen. Das heißt am Ende auch, diese Regierung zu tragen.“

In der SPD ist Spahn für viele der Gegner Nummer eins. Auffällig ist, wie wenig sich Miersch auf seiner Sommerreise dem Spahn-Bashing anschließen mag. „Ich arbeite mit Jens Spahn gut zusammen“, betont er. Auch Spahn sagt nichts Schlechtes über Miersch. „Mit Matthias Miersch komme ich persönlich gut klar, wir arbeiten vertrauensvoll zusammen. Wir hatten vorher wenig miteinander zu tun, Vertrauen muss wachsen.“ Aber was sollen sie auch sagen? Beiden ist klar, dass diese Koalition funktionieren muss.

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