Gemeinschaftsschule: SPD will sie - oder will sie nicht
Die Linkspartei meldet Vollzug bei ihrem Lieblingsprojekt, die SPD bekommt kalte Füße und will nun offenbar doch keine flächendeckende Gemeinschaftsschule in Berlin.
Die SPD ist auf ihrem bildungspolitischen Schlingerkurs erneut gegen die Gemeinschaftsschule und ihren Koalitionspartner geprallt. Die von der Linkspartei entworfene Schulgesetzänderung zur flächendeckenden Umsetzung der "Schule für alle" löst bei den Sozialdemokraten Abwehrreflexe aus: "Wir haben nie gesagt, dass nun alle Schulen flächendeckend Gemeinschaftsschulen werden sollen", rudert die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Felicitas Tesch, zurück. Fernziel sei ein längeres gemeinsames Lernen. Der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Christian Gaebler, bekräftigt: "Die Gemeinschaftsschule ist ein Modellprojekt, ob es das beste Projekt ist, wird man sehen." Und Fraktionschef Michael Müller mahnt, es dürfe keinen Automatismus bei der Gemeinschaftsschule geben.
Das sieht die Linkspartei etwas anders. In der Begründung des Entwurfs zur Schulgesetzänderung, der der taz vorliegt, heißt es: "Die in der Pilotphase gewonnen Erkenntnisse dienen der Vorbereitung der späteren Umsetzung in der Fläche." Ziel sei es, dass die Gemeinschaftsschule irgendwann die Regelschule in Berlin werde, bestätigt der bildungspolitische Sprecher der Linkspartei, Steffen Zillich, auf Nachfrage.
Per Koalitionsvertrag hatten sich SPD und Linkspartei darauf geeinigt, das Lieblingskind der Linken, die Gemeinschaftsschule, als Pilotprojekt einzuführen. Im November 2007 wählte SPD-Bildungssenator Jürgen Zöllner elf Verbünde aus, die im kommenden Schuljahr an den Start gehen. Eigens für sie soll das Schulgesetz geändert werden: So wird das Sitzenbleiben nur noch in besonders begründeten Ausnahmefällen praktiziert, die Aufteilung der Schüler nach Leistungsstärke ab Klasse 7 entfällt genauso wie das Probehalbjahr. Auch Schulen, die nicht an der dreijährigen Pilotphase teilnehmen, sollen sich aus dem Instrumentarium Gemeinschaftsschule bedienen und einzelne Regeln anwenden dürfen. "Der Senator äußert sich gegenwärtig nicht zu der Debatte", richtet sein Sprecher, Kenneth Frisse, aus.
Bis Mitte März soll das Abgeordnetenhaus über die Gesetzesänderungen abstimmen. Am heutigen Donnerstag wird sich der SPD-Arbeitskreis Bildung mit dem Entwurf beschäftigen, bevor er am Dienstag in der Fraktion beraten wird. "Die Formulierung der Begründung ist etwas unglücklich", zeichnet Gaebler die Richtung vor. Die Linke mache es sich zu einfach: "Man kann die Gemeinschaftsschule nicht erzwingen."
"Keiner wird gezwungen", sagt Zillich. Fachlich sei der Entwurf mit der SPD abgesprochen, er erwarte daher eigentlich keinen Widerstand in der Fraktion. Zillich sei wohl einfach missverstanden worden, versucht SPD-Bildungspolitikerin Tesch die Wogen zu glätten. Aus gutem Grund: Ihr Name steht ebenso wie der von Michael Müller unter dem geschmähten Entwurf.
Die Oppositionsparteien FDP und CDU sehen dagegen alle Missverständnisse beseitigt: Die Koalition wolle das Gymnasium also doch abschaffen, klagt der bildungspolitische Sprecher der CDU, Sascha Steuer. "Da steht schwarz auf weiß, dass die Einheitsschule Regelschule wird", poltert FDP-Bildungsexpertin, Mike Senftleben und fordert Eltern, Lehrer und Schüler zu Demonstrationen auf: gegen die Zwangsgemeinschaftsschule.
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