: Geldanlage in Aktien fragwürdiger denn je
betr.: „Linke Lust auf Aktien“, Ökolumne, taz vom 22. 1. 00
Es ist in der Tat erstaunlich, wie allgemein akzeptiert die Geldanlageform Aktien ist. Und dies obwohl die Geldanlage in Aktien heute moralisch deutlich fragwürdiger ist als noch vor fünf oder zehn Jahren.
Denn erstens sollte man sich fragen, woher die fantastischen Gewinne kommen. Entweder die Gewinne sind rein virtuell, das heißt beruhen nur auf der Phantasie der Anleger (nennt man dies Massenpsychose?). Oder sie sind real, dann frage ich mich, wo dieser Wertzuwachs in der realen Welt seine Entsprechung hat ... In jedem Fall bedeuten Gewinnraten von deutlich über 10 Prozent jährlich eine deutliche Entwertung des Geldverdienens durch Arbeit. [...]
Hinzu kommt ein anderer, ebenso moralisch fragwürdiger Aspekt. Aktienkurse steigen nur dann kräftig, wenn die Aktiengesellschaft eine „angemessene Verzinsung des Eigenkapitals“ bietet. „Angemessen“ bedeutet, 12 bis 15 Prozent! Dies bedeutet, jede Aktiengesellschaft „muss“, um „billig“ an Aktienkapital zu kommen, „ordentlich“ Gewinn machen. Und dies bedeutet Leute rausschmeißen, Angestellte schlechter bezahlen usw. Und es bedeutet, dass der Kunde für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu viel bezahlt, da ja 12 bis 15 Prozent des Eigenkapitals an die Aktionäre gehen müssen ...
Und trotzdem gibt es offensichtlich niemanden, der sich gegen eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitals bei bisherigen Staatsbetrieben, wie zum Beispiel der Bahn AG (wie sie ja vom jetzigen „rot-grünen“ Bahnchef angestrebt wird) wehrt. Diese hat zur Folge: Entlassung von Leuten, Reduzierung der Gehälter, eventuellVerringerung des Angebotes und in jedem Fall zu hohe Fahrpreise, da ja die Gewinnerwartungen der Aktionäre befriedigt werden wollen.
Jens Niestroj, Rotenburg
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