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Geistergestalten im hohen Haus

Angelika Kohlmeier präsentiert im Willy-Brandt-Haus langzeitbelichtete Fotos von Plenartagungen und Politikertreffen im und am Bundestag

Von Tom Mustroph

Licht schafft Räume. Das weiß man spätestens dann, wenn man erstmals mit Taschenlampen- oder Kerzenlicht in dunkles Ambiente vorgedrungen ist. Der kleine Lichtkegel, mal stabil bei der Lampe, gespenstisch flackernd beim brennenden Docht, tastet Wände ab und erschließt so Räumlichkeiten. Auf Foto­papier lässt sich das natürlich auch bannen. Die Fotografin und Fotojournalistin Angelika Kohlmeier griff dafür auf das Uraltmodell der Lochkamera zurück und ließ in Belichtungszeiten von einigen Minuten bis zu mehreren Stunden die Umrisse von Bundestag und den benachbarten Parlamentsgebäuden auf dem analogen Speichermedium erscheinen.

Die Resultate sind eindrucksvoll. Hell hebt sich etwa die eigentlich dunkle Fassade des Reichstags vor dem düster erscheinenden, weil stärker belichteten Berliner Himmel ab. Die Wiese davor wirkt dank der Lichtreflexe wie eine Wasserfläche. Und das nicht ganz kreisrunde Loch der Lochbildkamera kreiert einen ovalen Ausschnitt, der den Eindruck eines Auges macht, durch den jetzt der Betrachter blickt. Innenaufnahmen variieren je nach Belichtungszeit. Manchmal scheint das Mobiliar in einem weißen Meer fast zu ertrinken, dann wieder zeichnen sich sehr deutliche Konturen ab.

Bundesadler in Bewegung

Eine besondere Performance legt der Bundesadler im Plenarsaal hin: Tiefschwarz hebt er sich von der weißen und hellgrauen Fensterfront ab. Er scheint sich gar zu bewegen, drängt dem Betrachter entgegen.

Kohlmeier experimentierte auch mit Bewegung bei ihren Langzeitbelichtungen. Bei Fahrstuhlfahrten krümmt der abgebildete Raum sich, ähnlich der Vorstellung, die man bei superschnellen Weltraumfahrten in Science-Fiction-Romanen und -Filmen haben kann.

Mitunter tauchen auch Menschen auf. Als sich im September 2022 die Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten der G7-Staaten mit ihren Amtskolleginnen und -kollegen aus der Ukraine und dem Europäischen Parlament zu einer Art Familienfoto treffen, ist Kohlmeier ebenfalls dabei. Als helle Silhouetten, die meisten verwischt, weil sie eben noch nicht still standen, heben sie sich vom dunklen Hintergrund ab. Sie wirken wie Geistererscheinungen.

Kohlmeier gründete 1985 gemeinsam mit ihrem Ehemann Bernd das „studio kohlmeier“ in Berlin. Anfangs fiel sie mit Fotos bei Ausgrabungskampagnen des Deutschen Archäologischen Instituts und der Deutschen Orientgesellschaft im Nahen Osten auf. Nach 1989 hielt sie den architektonischen Wandel des geeinten Berlins fest. Seit mehr als 20 Jahren begleitet sie das politische Treiben im Bundestag foto­grafisch. Sie spezialisierte sich zudem auf Panorama- und 360-Grad-Fotografie. Mit der althergebrachten Lochkameratechnik will sie jetzt „demokratische Prozesse transparent machen“, wie es im Begleittext heißt. Die beabsichtigte Transparenz verwandelt sich allerdings in eine Art Verzauberung. Räume erscheinen unwirklich, Menschen darin wirken eher wie Geistergestalten, die man an Ausgrabungsstätten vermuten würde, wenn dort die Eingänge freigelegt werden und der Staub der Jahrhunderte sich zu temporären Phänomenen verdichtet. Dass die Durchleuchtungsabsicht nicht aufgeht, sich vielmehr eine poetische Schicht über das hohe Haus legt, darf man aber durchaus als Reiz verstehen. „PhotonenSpur und Paragraphen“ ist ein so eindrucksvoller wie überraschender Zugang zum politischen Alltag.

„PhotonenSpur und Paragraphen“, Willy-Brandt-Haus, bis 21. September 2025

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