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Geiseldrama in KarlsruheFünf Tote bei Zwangsräumung

Eine Geiselnahme während einer Zwangsräumung in Karlsruhe endete mit fünf Toten - darunter der Geiselnehmer. Die Tat sei geplant gewesen, teilte die Polizei mit.

Tödlicher Ausgang: Die Polizei riegelte am Vormittag den Ort der Geiselnahme ab. Bild: dpa

KARLSRUHE/BERLIN taz | Für den Gerichtsvollzieher war es ein Routinetermin. Um acht Uhr morgens stand er zusammen mit dem Mitarbeiter eines Schlüsseldienstes vor der Tür der Dachgeschosswohnung in der Karlsruher Nordstadt. Unten warteten schon ein Umzugswagen und vier Möbelpacker, um die Wohnung leer zu räumen.Auch ein Sozialarbeiter war dabei, so ist es hier in schwierigen Fällen üblich.

Ein paar Stunden später sind fünf Menschen tot, erschossen von einem Mann, der die Zwangsräumung der Wohnung nicht hinnehmen wollte.

Von einer „regelrechten Hinrichtung“ sprach Gunter Spitz, Leiter der Karlsruher Staatsanwaltschaft, auf einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Tat bis hin zum Vierfachmord im Detail geplant war. Der 53-jährige Täter ist zuvor nicht durch Gewaltdelikte aufgefallen. Über ihn weiß die Polizei nicht viel, außer dass er seit Jahren arbeitslos ist und vor Längerem einmal wegen eines unbedeutenderen Waffendiebstahls verurteilt wurde.

In der Wohnung nahm der Mann den 47-jährigen Gerichtsvollzieher, seine Begleiter und den neuen Wohnungseigentümer, der auch die Wohnung betreten hatte, als Geisel. Der Täter zwang den Schlosser, die anderen zu fesseln und schoss ihn nieder, als dieser ihm die Waffe entreißen wollte. Den Sozialarbeiter ließ der Täter später gehen, er konnte um 8.55 Uhr die Polizei verständigen. Er berichtete auch von der massiven Bewaffnung des Täters.

Zwei Gewehre, zwei Pistolen

Die Polizei stellte später zwei Gewehre, zwei Pistolen und eine Übungshandgranate sicher. Woher der Mann die Waffen hatte, weiß die Polizei noch nicht, sicher sei nur: Er besaß sie illegal.

Die Polizei sperrte den Tatort weiträumig ab, mehrere Häuserblocks wurden evakuiert, Krankenwagen standen bereit, ein Hubschrauber kreiste. Als Brandgeruch aus der Wohnung kam, stürmte nach fast dreistündiger Wartezeit um 11.48 Uhr ein Spezialeinsatzkommando die Wohnung. Den Polizisten bot sich ein schreckliches Bild, der Teppichboden qualmte - und alle Menschen in der Wohnung waren tot. Die gefesselten Geiseln, saßen auf dem Sofa, getötet per Kopfschuss. Der Täter hatte sich selbst umgebracht. Seine langjährige Lebensgefährtin, die frühere Eigentümerin der Wohnung, wurde tot im Schlafzimmer gefunden. Zu welchem Zeitpunkt sie getötet wurde, war zunächst unklar.

Ebenso noch nicht klar ist, wie betrunken der Mann zur Tatzeit war. Denn er trank Bier während der Geiselnahme. Diese Frage soll nun – neben anderen – eine rasche Obduktion der Leichen klären.

Zur Zwangsräumung kam es, weil die Eigentümerin mit Zahlungen an die Hausgemeinschaft im Rückstand war, die Frau hatte offenbar keinen festen Job. Ende April wurde die Wohnung deshalb zwangsversteigert. Für die Frau stand für die Zeit nach der Zwangsräumung ein Platz in einer Sozialunterkunft bereit, der Mann hatte noch einen Wohnsitz im Elsass.

Vollständige Sicherheit gibt es nicht

Die Karlsruher Nordstadt ist eine junge Wohngegend, entstanden 1996 nach dem Umbau ehemaliger US-Kasernen. Nicht weit von der Innenstadt, aber trotzdem im Grünen finden hier vor allem Familien bezahlbare Wohnungen. Sozial sei die Wohngegend gut durchmischt, sagte eine Anwohnerin der taz. Es herrsche eine gute Stimmung unter den Nachbarn, es gebe viele aktive Bürgerinnen und Bürger. Die Tat sei deshalb „total überraschend“.

Erst im vergangenen Jahr war in Rastatt in der Nähe von Karlsruhe ein Hauseigentümer erschossen worden, als er mit einer Gerichtsvollzieherin erschien. Gewalttaten bei Zwangsräumungen haben laut dem Deutschen Gerichtsvollzieherbund in den vergangenen Jahren zugenommen. Der Verband fordert nun besseren Schutz der Beamten. Auch in Karlsruhe werde man nun schauen, „wo wir noch mehr Sicherheit einbauen können“, sagte Oberbürgermeister Heinz Fenrich (CDU) am Mittwoch. „Auch wenn es vollständige Sicherheit nicht gibt.“

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14 Kommentare

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  • W
    Wilfried

    Ich habe für die Opfer, die arbeitslose und dann enteignete Eigentümerin und ihren arbeitslosen Lebenspartner Verständnis. Die anderen sind Profiteure des Systems, selbst schuld.

  • I
    Icke64

    und dies ist beginn, deren Ausübung ihres Berufes ein Abruptes Ende findet.

    Und niemand kann sagen, ER/SIE wussten von nichts!

  • H
    Hilok

    Ich verstehe nicht, wie man in einem solchen Fall auf die äußeren Umstände schauen kann! Der Täter hat 4 Menschen hingerichtet; basta. Egal wie verzweifelt er aufgrund seiner persönlichen Lage war, kann man diese Morde nicht dem System zur Last legen. Wo bleibt denn hier das eigene Rechtsempfinden und die moralische Instanz eines jeden einzelnen Bürgers? 4 Familien sind jetzt nach der Tat betroffen.

     

    Wenn von Systemkritik gesprochen wird, frage ich mich eher, warum sich bei einigen Menschen eine einseitige Ausrichtung ihrer Lebensziele und Werte scheinbar so extrem auf materielle Dinge richten (Haus , Auto , Teilhabe durch Konsum und Statussysmbole...), dass im Falle eines Verlsuetes nichts mehr von dieser Person übrig bleibt. Wenn man sein Leben nur danach ausrichtet, wird man immer davon abhängig sein, ob man wirtschaftlich erfolgreich ist oder nicht. Jeder kann seinen Job verlieren und jeder muss damit klar kommen, unsere Kinder müssen eine so stabile Persönlichkeit entwickeln, dass sie nicht gleich ihre Identität und Stabilität verlieren, wenn der zu erwartende wirtschaftliche Erfolg in den nächsten 20 Jahren ausbleibt. Das ist die Kritik, die ich teilen kann. Wir sind abhängig von unserem MEgaKonsum und nichts kann uns scheinbar mehr treffen, als der Verlust der Konsummöglichkeiten.

     

    JEder muss mit einem solchen Verlust klakommen, ohne das er ausrastet und sein gekränktes EGO andere ins Unglück stürtzt.

  • B
    Badner

    @GMNV: Nein, die Spitze des Eisbergs, der Enteignung heißt. Habe mir selbst zusammen mit meinem Mann eine Dreizimmerwohnung als Altervorsorge gekauft. Den Kredit bezahlen wir aus der Miete zurück. Jetzt haben wir eine tolle Familie als Mieter.

    Davor hatten wir eine Mieterin, die ständig im Rückstand war, aber sehr rechtssicher im Ausnutzen von Gesetzteslücken. Die Räumung dauerte ewig, vor Gericht konnte man uns nicht helfen, Untermietverträge unserer Mieterin wurden für uns zum Problem.

    Letztendlich mussten wir beinahe 5000 Euro in den Wind schreiben - und uns in Briefen vom Mieterbund als Immobilienhaie beschimpfen lassen.

    Sowas ist heute die Realität, die Gesetzgebung orientiert sich nur an ganz oben und ganz unten.

  • S
    Schuldner

    Ist es nötig dass ein Mann so verzweifelt ist, dass er Beamte tötet die ihrer Pflicht nachgehen ? Ein Schuldner kann so verzeifelt sein, dass er sich wie ein Tier in die Ecke gedrängt fühlt. Es ist sicher an der Zeit, das Insolvenzrecht zu reformieren, um solche Entartungen zu verhindern. Ein über Mediation gesteuerter Prozess hätte diese Katastrophe verhindert. Die Zeit des Schuldturms ist vorbei. Und : in einer Zeit in der sich Banken und Staaten ohne Limit und Konsequenzen gnadenlos verschulden können, könnte dies auch für Privat-Leute gelten. Eben mit allen tragischen Konsequenzen.

  • K
    Kraake

    Das sind eben die Dramen zu denen es kommen muss, wenn Eigentum über gesicherten Wohnraum gesellt wird. Und die Lösung dafür ist definitv nicht in immer mehr 'Sicherheit' (ein Euphemismus für die Repression der unteren Schichten und sozial Benachteiligten) zu finden, sondern in der Schaffung gerechterer Verhältnisse.

    Die Häuser denen die drin wohnen! - Wohnraum vergesellschaften!

  • W
    waldküre

    Erst Fakten abwarten, dann kommentieren:

     

    Zwangsräumung - ja aber

     

    1. Aus Eigenbedarf, die Eigentumswohnung wurde Zwangsversteigert

     

    2. Die Zwangsversteigerung wurde von der Eigentümerversammlung erwirkt, da über viele Monate kein Hausgeld mehr bezahlt wurde

     

    3. Das Haus besteht aus mehreren kleine sehr einfachen Eigentumswohnungen

  • D
    D.J.

    Nun, auf solche Kommentare hatte ich gewartet (z.B. von GMNW). Der böse Kapitalismus ist schuld, dass der Mann keinen Ausweg sah und vier Menschen abgeschlachtet hat. Lesen sollten aber auch schlichtere Gemüter können: Weder der Mann noch die Frau hätten auf der Straße gestanden. Übrigens schon mal versucht, eine Zwangsräumung durchzusetzen? Gar nicht so einfach. Euer Verständnis solltet ihr euch für andere Leute aufheben, die es eher verdient haben.

  • M
    Maxhölz

    300 Jahre nach Rousseaus Geburt gewinnt dessen Kritik an der mehr oder weniger gewaltsamen Bildung von Privateigentum an Grund und Boden wieder Legitimation. Wie im Karlsruher Fall, kommt insbesondere bei zwanghaften Wohnungsräumungen in der Kapitalismuskrise immer deutlicher die brutale G e w a l t struktur des Kapitalismus zum Vorschein.

     

    Man konnte seinerzeit im TV -Dokus brutal-gewaltsame Wohnungsräumungen infolge der sich auch als Immobilienkrise manifestierenden Kapitalismuskrise im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ansehen.

     

    Inzwischen leben infolge dieser Krise immer mehr Amerikaner,die mit Gewalt aus ihren Wohnungen vertrieben wurden, in Zeltstädten. Es gab auch dort gelegentlich verzweifelte gewaltsame individuelle Gegenwehr gegen die brutale Staatsgewalt im Interesse der Wohnungseigentümer, meist der Banken. Diese verzweifelte individuelle Gegen-Gewalt ist allemal sehr wohl v e r s t ä n d l i c h, auch die in Karlsruhe. Aber sie fordert arglose Opfer,und sie ändert auch nichts am ungerechten System des kapitalistischen Privateigentums selbst.

     

    Gewiß darf man daher mit Recht auch um die kleinen Beamten und Handwerker, die im Karlsruher Fall bei der durch den kapitalistischen Staat legitimierten Verletzung des Menschenrechts auf Wohnung durch die gewaltsame Gegenwehr des Geräumten getötet wurden, trauern.

     

    Sie versuchten subjektiv arglos einem zutiefst ungerechten Klassenrecht Geltung zu verschaffen. So sind sie selbst unglückliche Opfer dieses Unrechtssystems geworden. Die individuelle Gegengewalt trifft in solchen Fällen von Gegengewalt subjektiv unschuldige Menschen, endet meistens mit Selbsttötung des Zwangsgeräumten -schont dagegen das ungerechte Eigentumssystem selbst und seine großen Profiteure, die sich mit Wohnungsräumungen die Hände nicht schmutzig machen...

     

    Im von der Kapitalismuskrise geschüttelten Spanien haben sich in der letzten Zeit Nachbarschafts-Gruppen gebildet, die in solidarischer Gegenwehr gegen gewaltsame Wohnungsräumungen durch die kapitalistische Staatsmacht vorgingen. Sie gingen vor mit passiver Gewalt und hatten einige Male damit Erfolg.

     

    Diese Art von Gegenwehr gegen gewaltsame Wohnungsräumungen im Interesse der Hauseigentümer ist gewiß vernünftiger und humaner als die verzweifelte, Leben vernichtende, letztlich selbstzerstörerische Gegenwehr, etwa des Zwangsgeräumten in Karlsruhe.

     

    Jedoch ändert auch diese eher gewaltfreie kollektive Gegenwehr von Spaniern gegen kapitalistische Zwangsräumungs-Gewalttätigkeit vorerst nichts am kapitalistischen Unrechtssystem selber.

     

    Langfristig muß aus dem in Spanien vorexerzierten kollektiven passiven und wenig gewaltsamen Widerstand solidarischer Menschen gegen gewaltsame Wohnungsräumungen ein Widerstand der Menschenmehrheit gegen alle Formen des gerade in der gegenwärtigen Weltkapitalismuskrise immer ungerechteren kapitalistischen Privateigentumsystems werden. Das Recht auf Wohnung aber verdient schon jetzt größtmöglichen Schutz- und jeder von uns kann dabei mithelfen: Karlsruhe ist überall und zumindest Spanische Solidarität kann überall durch jeden von uns werden!

  • S
    Synoptiker

    Zwangsräumung eskaliert zu Geiselnahme und Tod.

     

    Hallo Redaktion, so hätte ich aufgemacht. Keine Ablenkung, Irreführung, präzise!

     

    Der Leser wird anders eingestimmt, ähnliche Erfahrungen kommen hoch! Und die Frage nach Recht, Schutz des Kapitals, des Eigentums wird an den ungerechten Realitäten gemessen werden.

  • G
    GMNW

    Das ist eine sehr, sehr tragische Spitze eines immer größer werdenden Eisbergs in Deutschland der ARMUT heißt. Erst wird Wasser und Strom abgestellt und dann wird gnadenlos zwangsgeräumt.

  • S
    Synoptiker

    Ursächlich ist doch die Zwangsräumung, ergo sollte sie in der Schlagzeile stehen. Eine Zwangsräumung hat mit Sicherheit zwei Seiten.

    Ich erspare mit hier den Kommentar für die zweite Seite, weil ich hier länger ausholen müsste.

     

    Die erste Seite rührt unser Mitgefühl. Alles sehr tragisch, traurig!

  • F
    frage

    Hallo gehts noch,

    "und der "neue" Mieter verdient auch den Tod!"

     

    Was ist denn sein Verbrechen gewesen, dass sie so ein Urteil fällen?

  • E
    Eulenspiegel

    Die legen aber auch alles um! War die Zwangsräumung das wert?