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Gegenwart und Zukunft queerer Kämpfe „Wir haben das geschafft“

Seit 50 Jahren findet queere Emanzipation immer öffentlicher statt. Mit einer Fülle von Erfolgen. Das kann so weitergehen – nur wie? Und wofür?

Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage ... Foto: Julian Stratenschulte / picture alliance

Vor wenigen Stunden las ich von meiner guten Bekannten Trude, dass bei ihrem Ausflug ins Mecklenburgische in Schwerin ein Räuber versuchte, ihr die Handtasche zu entwenden und sie dabei auch persönlich schmähte – mit irgendwas übel Abträglichem in Sachen Trans. Trude war nämlich mal ein Mann. Der Täter hatte wohl nicht damit gerechnet, dass sie sich wehren würde. Dann sprang auch noch eine zufällig am Tatort vorbeilaufende Frau Trude bei, und später nahm sich die Polizei des Falles an, inklusive Festnahme des Täters.

taz Thema 🐾 13.07.2022

Text von Jan Feddersen

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Das war ja nicht immer so. Was einst galt – und was jeder schwule Mann, jede lesbische Frau, jede trans Person natürlich wusste –, war klassische Täter-Opfer-Umkehr. Wurde man körperlich überfallen oder mit Worten geschmäht und versuchte, dies zur Anzeige zu bringen, konnte man nicht auf solidarische Hilfe rechnen, auch kaum mit souveräner Ermittlung der Polizei; die machte sich oft über trans Menschen lustig.

Queere Menschen waren unsichtbar, schwule Männer waren bis 1969 strafrechtlich sogar prinzipiell verfolgt. Alles spielte sich in Undergrounds ab, in Kneipen, Bars, Theatercafés, privaten Wohnungen. Das hat sich erheblich geändert, genauer gesagt: Wir haben das geändert. Schwule und Lesben, über die Jahre seit den frühen Siebzigern auch immer mehr trans Menschen. Wir nahmen uns das unhintergehbare Recht, zu sagen, was zu sagen ist: Wir sind da – und wollen nicht abschätzig oder gar diskriminierend behandelt werden. Wir machten uns selbst, um eine Formulierung von Carolin ­Emcke zu nutzen, „sagbar“.

Die Angst ist verschwunden

Noch eine kleine Anekdote: Vor rund 25 Jahren lernte ich in Hamburg einen Mann kennen, der aus der DDR kam. In Hamburg ließ er seine Wünsche nach Frau und Kindern zurück – um schwul zu leben. Besser: Um homosexuell unbeobachteter zu leben als in seiner alten Heimat. In der schwulen Sauna lernte er einen Mann kennen, mit dem er sich später auch jenseits der Schwitzräume traf.

Bei erster Gelegenheit wurde dieser Freund jedoch erpresst: Entweder du bezahlst oder ich erzähle deinem Arbeitgeber von deinem Schwulsein. Eine Geldübergabe wurde verabredet. Aber der Freund von mir verpasste dem Erpresser an einer Bushaltestelle ein paar Faustschläge, statt ihm Geld zu geben. So war das früher: Schwule und Lesben hatten horrende Angst, dass in ihren Büros und Werkstätten jemand von ihrer Nicht­heterosexualität erfahren könnte. Das ist zum Teil immer noch der Fall, aber das einst Übliche, die Erpressbarkeit, dieses bleierne Gefühl, über eine bös entzündliche Achillesferse zu verfügen, ist weitgehend verschwunden.

Zwischen damals und heute haben sich die Verhältnisse nicht ins Paradiesische verändert. Aber ins fundamental Bessere. Wir feiern CSDs als öffentliche Partys mit politischem Unterfutter. Nicht nur in Berlin, nicht wie neulich in Köln als städtisches Happening, sondern auch in kleinen Städten. Die Nachrichtensendungen berichten darüber durchweg positiv. Queeres als Versammlung buntester Art gilt als normal. Was denn auch sonst?

Wir sollten das feiern: Dass die Zeiten der Erpressbarkeit nur noch bei Älteren ein verblassender Alptraum sind – wenigstens hierzulande, wie in fast allen westlichen Ländern mit jahrzehntelanger Geschichte sozialer Bewegungen. Dass ein Ministerpräsident der CDU wie Hendrik Wüst sich selbstverständlich in Köln beim CSD sehen lässt, wäre vor drei Dekaden undenkbar gewesen. In Polen oder gar in Russland (mit seinen homo- und transphoben Gesetzen) ist das jenseits der Möglichkeiten – wobei in Warschau und anderen Städten unseres Nachbarlandes CSDs ja immerhin stattfinden können.

Feiern sollten wir, dass das Wesentliche erreicht wurde. Schwule und Lesben sind, aus dem Blickwinkel von heterosexuell orientierten Menschen, vielleicht anders, aber keine Aliens, die es zu züchtigen gilt. So minderheitlich wie die Linkshändigkeit – die Kindern in Schulen brutal abgewöhnt wurde – bei Menschen: eine Minderheit, nichts weiter, ebenso okay wie Rechtshändigkeit das Gewohnte ist.

Was politisch bleibt, ist: unsere Präsenz öffentlich zu preisen, wie bei den CSDs. Ja, das So-Sein ist politisch, da braucht es keine besonderen politischen Forderungskataloge. „United in LOVE“, wie das Motto des hauptstädtischen CSD dieses Jahr lautet. Es gibt bessere Motti, aber was sollten die Leute im CSD-Kreis auch machen: Das Diskriminierende schlechthin ist ja abgeräumt, sogar das heterosexuelle Paare privilegierende Eherecht wurde vor fünf Jahren getilgt mit der Ehe für alle.

Über den Rest wird gestritten, mehr und mehr auch in der nichtqueeren Öffentlichkeit. Eine Grundgesetzerweiterung mit einer Passage, die auch ausdrücklich Schutz der sexuellen Orientierung (oder Identität) benennt, steht auf der Agenda. Aber sie ist unsicher, weil es hierfür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag braucht. Außerdem kann ja nicht jede sexuelle Identität gewertschätzt werden: Pädosexualität sollte ja nicht gemeint sein.

Politisches Risiko

Offen ist auch, was aus dem Selbstbestimmungsrecht wird. Klar, besonders auf Druck der Grünen und der FDP wird dazu ein Gesetz verabschiedet werden, mutmaßlich Ende des Jahres. Aber noch ist es nicht im Bundestag verhandelt worden. Es geht um nicht unwichtige Fragen: Sind Frauen geschützt, die nicht möchten, dass trans Frauen, die einen Penis haben, ihre Räume benutzen, beim Sport etwa? Gehen Grüne und FDP auf diese Bedenken ein? Oder gehen sie ins volle politische Risiko, einfach ihr Ding durchzusetzen, ohne Rücksicht auf klassisch-feministische Bedenken? Setzen diese beiden Parteien in dieser Frage auf die politische Spaltung des Landes? Denn das Gesetz ist den meisten Menschen im Lande gleichgültig. Queeres mit oder ohne Stern, (narzisstische) Ausstellung der Pronomen (he/his oder she/her), Spielchen um den Abschied von Geschlechtsbinaritäten, das alles ist eigentlich Kinderkram für 98 Prozent aller Wähler jenseits der großen Städte.

Die Union – die AfD ja sowieso, aber auf die kommt es nun echt nicht an – wird gegen das Gesetz stimmen, das ist sicher. Aber die politische Erfahrung lehrt, dass Gesetze, die uns betreffen, am besten befolgt werden, wenn sie auch von wesentlichen Teilen der Opposition getragen werden. So war es auch vor fünf Jahren bei der Ehe für alle, als die meisten tonangebenden Abgeordneten der Union zustimmten. Die weitere Entwicklung wird also spannend – im Wortsinn.

Mir ist es aber wichtiger, darüber zu berichten, dass eine gute Bekannte wie die transsexuelle Trude endlich als Frau anerkannt wird – und sich zur Wehr setzt. Das ist ein ermutigendes Zeichen. Bräuchte ich mal einen Bodyguard-Service: Ich würde auf Trude bauen. Mit Menschen wie ihr geht es sich wesentlich leichter durch die Welt.

Dieser Text erscheint im taz Thema Christopher Street Day, Ausgabe Juli 2022. Redaktion: Ole Schulz.