Gefräßige Geier, aufgeregte Spatzen: „Tschilp“ und „Karl-Heinz“ im Fundbureau : Fliegen mit gebrochenen Flügeln
Es gibt Tage, an denen man all der Schwermut wegen das Gefühl nicht loswird, man könne, selbst wenn die gebrochenen Flügel tragen würden, nicht so recht fliegen. Hat man den Boden trotz allem verlassen, bleibt schließlich offen, ob man irgendwann an das Gitter eines Käfigs stößt, von der Kraft verlassen wird und abstürzt – oder ob man trotz allem weiterfliegen kann. Und es bleibt die Frage wohin. Die Musik zu derartigen Flugversuchen gibt es heute Abend im Fundbureau, wenn mit Tschilp und den kongenialen Karl-Heinz zwei eigenwillige Hamburger Bands die Verstärker anschalten.
Tschilp sind drei traurige Freundinnen, die seit ebenso vielen Jahren von einem feuchten Keller unter der Altonaer Altstadt aus musikalische – mitunter lange und anstrengende – Flugexperimente durchführen. Das karge Feld, von dem sie (sich) bei ihren Versuchen abheben, liegt irgendwo zwischen Post-Punk und Noise-Rock, fragiler Traurigkeit und subtilem Krach, und auf ihrem Flug nehmen Tschilp melancholische Krähen und gefräßige Geier genauso mit wie aufgeregte Spatzen und Strauße, die den Kopf in den Sand stecken.
Auf diese Weise haben Tschilp sich in den letzten Jahren eine ansehnliche AnhängerInnenschaft erspielt und sehen sich in die gefährliche Situation gebracht, mit schöner Regelmäßigkeit den sicher nicht immer förderlichen Sonic Youth-Vergleich zu provozieren. Für müde Augen haben Tschilp neben äußerst charmanter Introvertiertheit auf der Bühne auch einen eindrucksvollen Animationsfilm zu bieten, der beweist, dass Bassistinnen eben doch unterschätzt werden. „Das Monument“ untermalt nicht nur die Musik, sondern geht auch allein auf Europatournee und wird demnächst unter anderem auf dem Kurzfilmfestival im bosnischen Mostar zu sehen sein.
Derweil steht die Veröffentlichung des Vinyl-Debüts an, dafür muss aber noch so lange Geduld aufgebracht werden, bis Tschilp im Oktober zurückkommen. Sollten sie nicht abgestürzt sein ...
Karl-Heinz schreiben, sie seien „der anachronistische Moment in der Sehnsucht“. Vielleicht deshalb ranken sich um die Herkunft Legenden. Sicher ist, dass sie aus den Trümmern der ebenfalls legendären Kokoshka Heroine hervorgegangen ist und nur zwei geblieben sind, die wissen, wie es war. Karl-Heinz verfügt nun mit dem mittlerweile dritten Schlagzeuger über ihren „Cymbal King“ („at each wrist a rosa pueschel“) und hält weiterhin standhaft die Fahne hoch: „Feminism rules!“
So nebulös die Vergangenheit, so klar die Gegenwart von Karl-Heinz: Angetrieben von der „klammheimlichen Hoffnung, die Ein- und Ausgänge der Reproduktion in einem Kurzschluss zusammenzuführen“, pflegen sie dem Rock gegenüber eine eigenwillige Form angenehm verantwortungsvoller Illoyalität. Es ist, als hätte sie ihn entwendet und auf einen eigentümlichen Zickzack-Kurs getrieben. Dabei entsteht beizeiten furioser Krach, der in einem dynamischen Hin-und-Her entkoppelt und wieder auf den Punkt gebracht wird, schnarrt, knarrzt, eigenartig besungen und mit derart apostelischem Eifer dargeboten wird, dass es schon mal passiert, dass Blut aus dem Finger den Bass hinunterläuft. Vielleicht ja auch heute Abend.
Robert Matthies
Donnerstag, 21 Uhr, Fundbureau