Gefangenen-Zeitung „Lichtblick“: Ex-Redakteure vor Gericht
Zwei ehemalige Redakteure aus Tegel müssen sich wegen eines Sex-Artikels über eine Justizmitarbeiterin verantworten. Das Verfahren wird eingestellt.
Zwei frühere Lichtblick-Redakteure sind wegen Beleidigung und übler Nachrede angeklagt. Mit der Überschrift „Gefangene von Bediensteter sexuell missbraucht“ und „Sexdays in Kassel“ waren die Artikel in der Lichtblick-Ausgabe, erschienen im September 2021, überschrieben.
Ein Gefangener aus der JVA Kassel und dessen Anwalt hätten sich seinerzeit mit entsprechenden Informationen an die Lichtblick-Redaktion gewandt, sagt der Angeklagte Andreas B. vor Gericht. B., 48 Jahre, kahler Kopf, braungebrannt, war seinerzeit der presserechtlich verantwortliche Redakteur. Er ist inzwischen aus der Haft entlassen.
Eine Anfrage des Lichtblick beim Justizministerium Hessen habe ergeben, dass gegen eine Beamtin ein Ermittlungsverfahren anhängig sei. Auch habe man in der Justizvollzugsanstalt Kassel angerufen; die Beamtin habe sich aber nicht äußern wollen. Und es habe noch einen weiteren Zeugen gegeben, der eine sexuelle Nötigung bestätigt habe. Was er, B., damit sagen wolle: Die Redaktion habe die journalistische Sorgfaltspflicht keineswegs außen vor gelassen.
Falscher Autoren-Name
Der Mitangeklagte Elias R. sitzt noch im Gefängnis. Vor Gericht erscheint der 46-Jährige im Knast-Arbeiter-Outfit: blaue Latzhose, blauweiß gestreiftes Hemd. Der besagte Artikel war mit seinem Namen unterzeichnet, weshalb der Staatsanwalt meint, R. war der Autor des Textes. Falsch, sagt B. Er habe den Artikel geschrieben, aber R.s Namen darunter gesetzt.
R. schweigt zu den Vorwürfen. In der Erklärung, die sein Anwalt für ihn verliest, heißt es, R. sei in der Redaktion seinerzeit „mit anderen Aktivitäten“ beschäftigt gewesen. Damit sein Name ab und zu in der Zeitung auftauche, habe B. hin und wieder Artikel für ihn geschrieben. Fakt ist, dass der Lichtblick im vergangenen Sommer wegen mutmaßlich krimineller Aktivitäten von R. – angeblich getätigt über das Redaktionstelefon – durchsucht und geschlossen worden war.
Die Beschreibungen über die Praktiken, mit denen die Kasseler Justizbeamtin – im Text steht ein Vorname, der Nachname ist abgekürzt – Gefangene zum Sex genötigt haben soll, waren im Lichtblick recht detailreich ausgefallen. „Triebhafte Neigungen“ werden ihr vom Autor unterstellt. Reißerisch und ehrverletzend findet das der Staatsanwalt laut Anklageschrift.
Das Verfahren gegen die Beamtin war 30. Juli 2021 von der hessischen Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Aber da war der Lichtblick mit dem besagten Artikel schon fertig gedruckt. In der online-Ausgabe habe man das sogleich richtig gestellt, betont B. am Freitag.
Keine Schulung im Presserecht
Bei seiner Verteidigung bringt B. noch einen anderen Aspekt vor: Gänzlich ungeschult und unwissend sei er von der Tegeler Anstaltsleitung zum Lichtblick-Redakteur bestimmt worden. Keine Ahnung von Presserecht, geschweige denn von sonstigen journalistischen Regeln hätten Neu-Redakteure wie er gehabt. Einfach so ins Wasser geworfen habe man ihn. Dabei sehe eine zwischen Lichtblick und Anstaltsleitung geschlossene Kooperationsvereinbarung eine entsprechende Beschulung vor. „Einem Gartenarbeiter drückt man auch nicht ohne Einweisung eine Rosenschere in die Hand“, so B., plastisch.
Das leuchte ihr ein, sagt die Amtsrichterin, es sei aber keine Entschuldigung. Egal ob Journalist oder Privatperson: die soziale Schulung des Lebens müsse einem doch sagen, dass man nicht einfach so Gerüchte in die Welt setzen könne. „Man erzählt nichts als Fakt, was man nicht nachweisen kann.“
Das Verfahren gegen B. und R. wird dann aber doch eingestellt: Mit Blick darauf, dass beide in anderer Sache noch Freiheitsstrafen zur Verbüßung offen haben.
Was die nicht vorhandene Schulung von Lichtblick-Redakteuren betrifft, hat sich das inzwischen geändert. Die im April 2023 neu eingesetzte vierköpfige Redaktion ist bei taz-Redakteurinnen und Redakteuren in die Schule gegangen. Das Projekt zum Wiederaufbau des Lichtblick, der nach der Durchsuchung neun Monate quasi tot war, wurde von der taz-Panterstiftung finanziert.
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