: Gedrillt ist eben nicht normal
■ Wiederaufnahme: Charla Drops mit »Tarnung vor dem Hunde« im Unart
Ein Affe sitzt auf einem Barhocker. Er fühlt sich beobachtet. Zu Recht, denn Dutzende Augenpaare verfolgen gespannt jede Bewegung des Tieres. Ostentativ greift der Affe zu einer Zeitung, kehrt dem Publikum den Rücken zu und liest. Nichts geschieht. Die Zuschauer erwarten, daß der Affe irgendwelche Faxen macht, aber der denkt gar nicht daran. Anbiederndes Lachen quittiert der Affe mit bösen Blicken. Er kratzt sich, liest, gähnt, kratzt sich wieder, räkelt sich auf dem Hocker, pult zwischen den Zähnen herum — eine burleske Handlung voller Anspielungen auf menschliche Verhaltensweisen, die nur aus der Distanz affig wirken.
Charla Drops und Frau Schamrock sind Meisterinnen der Enttarnung Potemkinscher Dörfer, die unsere Zivilisation massenhaft aufgebaut hat. Ob sexuelle Revolution, militärischer Gehorsam oder die Bigotterie katholischer Sexualmoral, die Schauspielerinnen zerren an den Mänteln, die das Wesentliche verdecken. Drops und Schamrock haben eine adäquate Form gefunden, Verhaltensweisen/Normen/Regeln auf einfache Symbole zu reduzieren und sie dennoch offenzulegen. Da ist zum Beispiel ein Rekrut, der sich in einem Bottich waschen soll. Für einen normalen Menschen wäre dies kein Problem, doch der militärisch Gedrillte ist eben nicht normal. Beim Militär hat selbst die menschliche Fortbewegung nach einem streng reglementierten Ablauf zu erfolgen. »Links, zwo, drei, vier, links, zwo, drei, vier«, krächzt es rüde aus Lautsprechern. Der Rekrut bemüht sich redlich, Schrittempo und Schrittfolge in vorgeschriebenem Maße zu entsprechen — freilich gelingt das nicht ganz. Da schleichen sich Ausfallschritte und Tanzrhythmen ein, das Entkleiden wird ein grotesker Kampf gegen die verordnete Motorik.
Frau Schamrock alias Eva Hass hat für jedes Szenenbild originelle Kostüme entworfen, die während des Spiels verändert werden. Charla Drops, die bei dem Paar schauspielerisch und tänzerisch dominiert, erzielt mit ihrem bizarren Outfit verblüffende optische Effekte. Mit dem wohldurchdachten Lichtdesign und den skurrilen Texten aus dem Off gelingt Charla Drops und Frau Schamrock ein sehenswertes Tanztheater.
leider ist es nicht ganz einfach, sich einen Platz in dem Veranstaltungsort »Unart« zu erkämpfen. Der Veranstalter hat die Frechheit, mehr Karten zu verkaufen als es Sitzgelegenheiten gibt. Für 20 Mark darf sich der Zuschauer in ein unangenehmes Gerangel begeben, die hinteren Reihen sind zu weit weg von der kleinen Bühne. Es ist ja schön, wenn Künstlerinnen Erfolg haben, diese Art von Geldgeilheit ist jedoch derart unangenehm, daß es einige Zeit dauert, bis sich der berechtigte Unmut einiger ZuschauerInnen gelegt hat und der Genuß des Stückes möglich ist. Werner
Charla Drops und Frau Schamrock: Tarnung vor dem Hunde, endlich wieder im Unart, Oranienstraße 163, Kreuzberg, 6142070, Fr.-So., Di. bis 29. März, jeweils um 21 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen