Gedenkzug: Die Erinnerung hält Einzug
Rund 1.000 Menschen empfingen den "Zug der Erinnerung" am Sonntag. Einen Halt am Hauptbahnhof hatte die Bahn nicht zugelassen. Zur Eröffnung der Ausstellung sprach ein Holocaust-Überlebender
Dicht gedrängt, mit ernsten Gesichtern, warten rund tausend Menschen am Gleis 1 des Ostbahnhofs. Bis auf die Treppen stehen sie, um den "Zug der Erinnerung" in Berlin zu begrüßen - dem nach wochenlangem Streit zwischen dem Trägerverein und der Deutschen Bahn ein Halt im Hauptbahnhof verwehrt bleibt. Das Unternehmen begründete dies mit technischen Problemen.
Unspektakulär sieht er aus, der Zug, der für so viel Aufregung gesorgt hat. Die schwarze Dampflok steht vor der Halle in der Sonne, die Luft über ihrem Schornstein flimmert. Dahinter drei rote und grüne Waggons, von Ruß und dem Schmutz der Strecke geschwärzt. Einige Fenster sind mit Schwarzweißfotos abgeklebt. Jemand hat rosa Nelken an die Türgriffe geklemmt.
Vor der Eröffnung der Schau für das Publikum gibt es eine Zeremonie. Stille breitet sich aus, als der Holocaust-Überlebende Herbert Schenkmann über seine Deportation berichtet. "Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen, viermal gegen meinen Willen mit der Reichsbahn befördert zu werden", erzählt der 84-Jährige und meint seine Verschleppung ins Konzentrationslager. Vier Pfennig pro Kilometer und Person hätte das Eisenbahnunternehmen dabei verdient.
Betroffene Mienen löst das bei den Zuhörern aus und wütend zusammengekniffene Augen. Die Gefühle der Besucher gegenüber der Bahn brechen hervor, als Franz Schulz (Grüne), Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, den Zug willkommen heißt. "Ich verspüre eine gewisse Genugtuung, dass es der Initiative gelungen ist, sich gegen die Deutsche Bahn und Herrn Mehdorn durchzusetzen". Stürmischer Applaus.
Zwischen den Rednern tritt Avital Gerstetter auf, die Kantorin der Jüdischen Gemeinde. Von Lautsprechern verstärkt sind ihre hebräischen Lieder auch auf anderen Bahnsteigen zu hören, während sich der Lärm vorbeifahrender Züge mit den Reden auf Bahnsteig 1 mischt.
Über die mobile Ausstellung, die die Deportation jüdischer Kinder während der Nazizeit und die Rolle der Reichbahn thematisiert, streiten Bahn und Trägerverein seit Wochen. Die Initiative wirft der Bahn vor, das Projekt systematisch zu behindern. Die von dem Unternehmen geforderten 100.000 Euro Trassen- und Stationsgebühr haben das Klima nicht verbessert.
Schon am Samstag hatten sich bei spätabendlichem Sonnenschein rund 500 Menschen vor dem Brandenburger Tor versammelt, um gegen das Verhalten der Bahn zu protestieren. Punks, Antifas, Touristen und eine Delegation des Motorradclubs "Kühle Wampe" waren darunter - vor allem aber ältere Bürger, wie auch tags darauf am Ostbahnhof.
Nach der zweistündigen Veranstaltung zogen die Teilnehmer in einem Schweigemarsch zur Bahnzentrale am Potsdamer Platz. Dort entzündeten sie 4.646 Kerzen, eine für jedes namentlich bekannte, verschleppte jüdische Kind aus Berlin.
Der "Zug der Erinnerung" wird bis Montagabend am Gleis 1 im Ostbahnhof stehen. Die nächsten geplanten Stationen sind die Bahnhöfe Lichtenberg, Schöneweide, Westhafen sowie Grunewald, von wo aus während des Naziregimes Juden in das Vernichtungslager Ausschwitz transportiert wurden. Dort soll der Zug am 8. Mai eintreffen.
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