Gedenken an Rosa Luxemburg: "Ihre Widersprüche faszinieren"

Sozialistin oder verkannte Demokratin: Die Politologin Anna Best-Kubik hat sich in einem Buch mit Rosa Luxemburgs Demokratieverständnis befasst.

Hier regnet's einmal im Jahr rote Nelken: Rosa-Luxemburg-Grab in Berlin. Bild: DPA

taz: Frau Best-Kubik, waren Sie schon einmal auf der Liebknecht-Luxemburg-Demo in Berlin?

Anna Best-Kubik: Nein, das ist nicht mein Fall. Meine Beschäftigung mit Rosa Luxemburg war eine rein wissenschaftliche.

Was genau haben Sie untersucht?

Anna Best-Kubik, 31, hat in Mainz Politikwissenschaften, Soziologie sowie Pädagogik studiert und ist außerdem Diplom-Verwaltungswirtin. Sie lebt und arbeitet als Verwaltungsbeamtin in Wiesbaden. Anna Best-Kubik: "Rosa Luxemburgs Demokratieverständnis". Der Andere Verlag, 2010, 170 Seiten, 23,90 Euro.

"Imperialismus im 21. Jahrhundert: Lernen, wie wir kämpfen müssen" ist der Titel der 16. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am Samstag. Den Vortragsteil eröffnet von 11 Uhr an der israelische Soziologe Moshe Zuckermann. Außerdem dabei: Der Pressesprecher der gegen "Stuttgart 21" protestierenden Parkschützer, Thomas Rudek vom Berliner Wassertisch und der venezolanische Botschafter im Iran. Venezuela ist auch das Thema der "Interbrigadas", einer Gruppe von Berliner Jugendlichen, die ihre Solidaritätsarbeit in Lateinamerika vorstellen. Ort: Urania-Haus, An der Urania 17, 10787 Berlin. Einlass ab 10 Uhr.

Mit der Demonstration am Sonntag gedenken Linke unterschiedlicher Strömungen der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919 durch Freikorpssoldaten. Treffpunkt um 10 Uhr ist der U-Bahnhof Frankfurter Tor, von wo aus die Demo zur Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde zieht. Dort kommen traditionellerweise viele zum "stillen Gedenken". (sepu)

Ich habe Luxemburgs Gesammelte Werke Wort für Wort durchforstet, um ihrem Demokratieverständnis auf die Spur zu kommen. Sie war vor allem politische Journalistin, also muss man ihre Haltung aus all den Artikeln zum jeweiligen Zeitgeschehen destillieren. Das Faszinierende dabei sind die Widersprüche, die sich erst ganz am Ende auflösen, vor dem Hintergrund ihrer Persönlichkeit und ihrer Zeit.

Was war an Rosa Luxemburg so widersprüchlich?

Demokratie ist bei ihr sehr ambivalent. Ihr Begriff davon nimmt verschiedene, auf den ersten Blick verwirrende Bedeutungen an. Einerseits lehnt sie den Parlamentarismus ihrer Zeit strikt ab, andererseits streitet sie in der preußischen Wahlrechtsbewegung für demokratische Rechte, für Republik, für Wahlrecht.

Luxemburg war aber doch in erster Linie Revolutionärin.

Ja, ihre Verteidigung von Demokratie und Republik erweist sich als rein taktisch. Das Proletariat sollte sich in dieser Form der bürgerlichen Republik üben, um dann das sozialistische Endziel der Revolution zu erreichen. In ihrer journalistischen Reaktion auf die Novemberrevolution zeigt sich eine Wende: Sie nimmt das Rätesystem in ihr Denken auf, was vorher nie vorhanden war. Das ist mit dem unvereinbar, was das Grundgesetz heute unter einem demokratischen Verfassungsstaat versteht.

Die Ikone für Frieden und Freiheit als Demokratiefeindin?

Sie wurde höchst unterschiedlich rezipiert, von modernen Politikwissenschaftlern tatsächlich als konsequente Demokratiefeindin. Andere sehen sie als demokratische Sozialistin, als kommunistische Sozialistin, als verkannte Demokratin, als Humanistin - es gibt eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten. In der DDR wurde sie instrumentalisiert, indem man ihre politischen Ideen als "Luxemburgismus" verdammt hat, weil sie Lenin in vielerlei Hinsicht widersprochen hat, vor allem was den inneren Organisationsaufbau einer Partei anbelangt. Diese Unterschiedlichkeit in der Rezeption entspricht der Widersprüchlichkeit ihrer Begriffe.

Sehr aktuell seien ihre ökonomischen Analysen, meint der Aufruf zur Gedenkdemo am Wochenende.

Das ist sehr umstritten. Ich denke, man sollte sie mit Vorsicht lesen, weil sie ein völlig anderes politisches System favorisiert hat als das, was wir heute haben. Dennoch macht sie auf wachsende soziale Ungleichheiten aufmerksam. Und ökonomische Ausbeutungsverhältnisse, um es in Luxemburgs Worten zu sagen, gibt es nach wie vor. Darüber kann man sich unterhalten, ja.

Was würde sie zum heutigen Stand der Gleichstellung von Mann und Frau sagen?

Rosa Luxemburg ist keine bekennende Feministin gewesen. Im Gegensatz zu Clara Zetkin war es nie ihr Ziel, sich mit Frauenbefreiung zu beschäftigen. Zwar analysierte sie die Demokratiedefizite ihrer Zeit gerade in Sachen Frauenwahlrecht sehr akribisch und plädierte für ein demokratisches Wahlrecht für alle. Aber es war nie ihr persönliches Anliegen, sich explizit mit der Benachteiligung von Frauen auseinander zusetzen. Sie hätte vermutlich gesagt, dass man die Revolution abwarten muss und sich die Gleichheit zwischen Mann und Frau selbst ergibt, sobald der Kommunismus umgesetzt ist.

Wie hat sie selbst denn als Frau inmitten all der Männer bestanden?

Sie war sehr spottlustig, mutig, selbstironisch und liebte die Auseinandersetzung. Das erleichterte ihr den Umgang in der politischen Welt ihrer Zeit. Nicht nur als Frau, sondern auch als Gehbehinderte und Jüdin, was sie zur Außenseiterin prädestinierte. Andererseits war Luxemburg eine fesselnde Rednerin.

Darf man sie sich als glücklichen Menschen vorstellen?

Nein, sehr prägend waren der persönliche Bruch mit dem SPD-Parteichefideologen Karl Kautsky und das Erlebnis des Ersten Weltkrieges. Letzteres versetzte sie fast schon in depressive Zustände. Ihr Glaube beruhte darauf, dass die Internationale die Welt rettet und Frieden bringt. Aber die Internationale konnte die Barbarei des Weltkrieges nicht verhindern. Da brach für sie etwas zusammen. Dieses Erlebnis spiegelt sich ganz eindeutig in einer Radikalisierung ihrer politischen Vorstellungen.

Sie sehen Luxemburg sehr kritisch, aber gibt es auch etwas, das Sie von ihr mitnehmen?

Die Forderung nach sozialer Gleichheit. Wir brauchen Grundrechte auch in privaten Rechtsverhältnissen wie dem Arbeitsverhältnis. Staatsbürger müssen spüren, dass sie als Souverän nicht nur Schutzrechte gegenüber dem Staat haben, sondern dass sie auch vor der Ökonomie geschützt werden. Denn die bestimmt einen maßgeblichen Anteil ihres Alltags.

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