Gedanken und Originalität: Alte Kulturtechniken
Hamburger Soundtrack
von Nils Schuhmacher
Wer das derzeitige Deutschpop-Inferno kritisch beäugt, hat sich ins Fäustchen gelacht, als Jan Böhmermann unlängst mit „Menschen Leben Tanzen Welt“ einen von Affen zusammengestellten Song in Umlauf gebracht hat. In einem wilden Ritt durch viel gehörte Phrasen „schrieben“ sie einen Text, der das herrschende, sich als Tiefe tarnende Gestammel in höchste Höhen hob. Einerseits.
Andererseits darf gefragt werden, ob es sich nicht um ein Missverständnis handelt, wenn man das kritisierte Genre mit einem herkömmlichen Pop-Begriff anzugehen versucht. Ist es nicht eher so, dass in einem ersten Schritt Pop von einem Jugendphänomen zu einem Erwachsenending wurde, und dann im zweiten der Schlager re-importiert und juvenilisiert wurde? Und im Ergebnis nun altersjunge Leute die Kulturtechniken der Alten verwenden?
Pech für diejenigen, die für ganz andere Sachverhalte dieselben Worte verwenden. Etwa die altehrwürdigen Fehlfarben (14. 5., Kampnagel). Nicht nur heißt deren letztes Album „Über … Menschen“. Es finden sich darauf auch Songs wie „Schmerz Wut Genuss Mut“ oder „Wenn die Welt“. Spätestens der Song „So hatten wir uns das nicht vorgestellt“ gibt dann aber die Sicherheit zurück, dass es hier doch um ganz anderes geht.
Einen noch mal anderen Weg gehen Vertreter eines massentauglichen und doch inhaltlich nicht entkernten Hip-Hops wie Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi (19. 5., Große Freiheit) oder Marteria (24. 5., Grünspan). So unterschiedlich die beiden Beispiele in Bezug auf Stil und Grad der Verschrobenheit sein mögen, so eint sie eins: Wortmacht trifft auf einen Gedanken trifft auf Originalität. Das können nicht mal die Affen im Zoo.
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