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Archiv-Artikel

Gebrauchsspuren der Stadt

Es gibt kein Drinnen ohne Draußen: Zwar sind erst wenige seiner Entwürfe verwirklicht, doch damit hat er viel Aufsehen erregt. David Adjaye ist einer der neuen Stars der Londoner Architekturszene

„Es wird zu viel gebaut“, sagt David Adjaye, „man sollte mehr mit Bestehendem arbeiten“

VON JULIA GROSSE

Wer den Architekten David Adjaye über seine Ideen reden hört, möchte auf der Stelle sehen, wie diese Ideen gebaut aussehen werden. Dass er Begriffe, wie „das Andere“ oder das „Dazwischensein“ so häufig für seine Architektur gebraucht, belegt ein intensives Nachdenken über die eigene Position: Geboren in Tansania und aufgewachsen in Ägypten, im Jemen, Libanon und schließlich in London, empfindet der 38-Jährige „es als wahnsinnig antiquiert, dass Identität immer noch an territorialen Gesichtspunkten festgemacht wird“.

Die Reaktion auf seine Projekte ist enorm, wo doch vor ein paar Monaten gerade mal sein erster öffentlicher Bau fertig wurde, eine Bibliothek im Londoner Osten. Bis dahin entwarf er vor allem Interieurs für Clubs und Läden oder ausgefallene Umbauten von Wohnhäusern. Zu seinen ersten Kunden gehörten gleich Prominente aus der Kunst- und Modeszene wie Jürgen Teller, Jake Chapman und Chris Ofili. Und da London seine junge Kunstszene liebt und hofiert, entstand auch um David Adjaye sehr schnell viel Wirbel. Die Presse feiert den Architekten als ungewöhnlichen Außenseiter, als einen, der zunächst Kunst studierte, aus Afrika stammt und nun innerhalb der weißen Mittelklassestruktur der englischen Architekturbüros für Furore sorgt. Seine neusten Aufträge sind das Messezelt für die diesjährige Frieze Art Fair in London, das Bernie Grant Centre in Tottenham oder das Nobelpreiszentrum in Oslo.

„Die Andersartigkeit meiner Bauten wird immer mit meiner ‚Andersartigkeit‘ gleichgesetzt. Das ist leider recht eindimensional und kategorisierend. Dabei baue ich einfach nur nicht viktorianisch oder zeitgenössisch nüchtern.“ Damit ist Adjaye nicht der Erste, der den beengenden Vorstellungen des englischen Bauens entfliehen will. Avantgarde-Gruppen wie Archigram suchten bereits in den Sechzigerjahren nach Alternativen zu den konservativen britischen Strukturen. „Mich interessiert Architektur immer mehr aus einer sozialen und politischen als aus einer rein technischen oder ästhetischen Position heraus.“ So werden seine Entwürfe innerhalb des Kunstkontextes ausgestellt, so bei der Kunstbiennale in São Paulo. „Was ich natürlich gut finde, doch ich weiß, dass man meine Konzepte sehr gerne als Kunst verbucht, weil sie für viele so befremdlich sind.“

Sein „Dirty House“, ein Künstleratelier in Londons Kreativen-Viertel Shoreditch, präsentiert sich also zunächst wie ein abschreckender Bunker: komplett mit einer stumpfen, schwarzen Farbe überzogen, mit verdunkelten Fenstern und ohne sichtbaren Eingang. Erst hoch oben über einem verglasten Dachgeschoss mit umlaufendem Balkon schwebt ein weißes Flachdach wie eine Eisplatte. „Ich hatte das Schwarz durchaus bewusst als abweisend und negativ besetzt eingebracht“, erklärt Adjaye sein subtiles Spiel mit klischierten Zuschreibungen. „Doch innerhalb dieser Künstler-Designer-Gegend wurde mein Schwarz plötzlich umkodiert in ein angesagtes Fashion-Schwarz. Das hatte ich zwar nicht beabsichtigt, aber genau so muss Kommunikation zwischen Architektur und Umgebung funktionieren.“

Bei „Dirty House“ arbeitete Adjaye mit der vorhandenen Bausubstanz, in diesem Fall einem ehemaligen Lager. „Das Haus ist alt und neu, eine Art Architektur des ‚Dazwischenseins‘, da sie nicht kategorisierbar ist. Ich mag diesen Zustand.“ Dabei zeigt „Dirty House“ Adjayes furchtlosen Umgang mit jenen Spuren, die eine Stadt normalerweise versucht zu verstecken: leer stehende Fabrikhallen, heruntergekommene Wohnsiedlungen. Adjaye holt sie hervor, schiebt sie einem regelrecht vor die Nase. „Wenn man Bezug nimmt zu etwas, was da ist und es auf seine Art zum Vorschein bringt, dann ist das etwas sehr Schönes für mich. Wiederaufbereiten anstatt abzureißen. Es wird zu viel gebaut, man sollte mehr mit Bestehendem arbeiten. Und damit meine ich nicht das Pflegen repräsentativer Prachtbauten, sondern das Arbeiten mit Material, das fragmentiert und diffus ist, wie die Gesellschaft selbst.“

Mit der Bibliothek im Londoner East End machte er nun ausgerechnet eine Gegend sichtbar, die in den vergangenen Jahren in Export-Import-Läden und Fastfood-Müll untergegangen war. Und da vor allem die Jugend lieber in den Supermarkt geht als in eine Bücherei, ist das Projekt auch ein „Idea Store“ mit Internetzugängen und Veranstaltungsbereichen. Und das Konzept geht auf, denn die Räume sind voll. Die heruntergekommene Gegend mit ihren tristen Hochhausriesen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren hätte Adjaye neben einem auffälligen, schönen Fremdkörper verblassen lassen können. Stattdessen aber entwarf er einen schlichten, zweigeschossigen Kasten aus sichtbaren Stahlträgern, aus Holz und Glas in leichten Blautönen. Das Gebäude verbindet den schmucklosen Platz mit der tristen Einkaufsstraße, der Einsatz von Glas stellt Sichtachsen durch das Gebäude her, nichts wird verdeckt. „Es geht um die Gebrauchsspuren einer Stadt. Das Perfekte und klinisch Saubere finde ich eher befremdlich.“

Für Adjaye ist die Art und Weise, wie Menschen Architektur empfinden, vor allem ein kulturelles Phänomen. „Es gibt Kulturkreise, für die gibt es beispielsweise nichts Uneinladenderes als Glas.“ Sein Architekturprojekt, das er gerade für das Londoner Institute of International Visual Arts realisiert hat, ist ein langer Tunnel, außen schwarz gestrichen und nur unterbrochen durch Streifen aus milchigem Kunststoff. Innen wird der komplett weiße Raum nur durch diese lichtdurchlässigen Streifen und den Ein- und den Ausgang erhellt. Es läuft entspannte Musik, zu der Stimmen singen oder erzählen. Und plötzlich gewinnt man den Eindruck, auf einem belebten Boulevard zu sein. Dabei steht man ganz allein in einem Tunnel. Am Ende des langen, minimalistischen Gebäudes, das zwischen Kunst und Architektur sich ansiedelt, sieht man ein großes Graffiti an der angrenzenden Häuserwand. Es ist David Adjayes Erinnerung an das urbane Leben. Denn es gibt für ihn kein Drinnen ohne Draußen.

Bis 24. Oktober, David Adjaye, Length x Width x Height, Institute of International Visual Arts, London