Gaza im Krimi: Jeder erschießt jeden
Matt Beynon Rees schuf für seine Krimireihe den palästinensischen Detektiv Omar Jussuf, um eine alternative Sicht auf den Konflikt in Nahost zu zeigen. Band zwei fällt leider ab.
In Frank Plasbergs Fernsehtalkshow "hart aber fair" konnte man es letzte Woche einmal mehr erfahren: Die Kontrahenten in der Auseinandersetzung Israel versus Palästina haben sich nichts zu sagen. Auch nicht in Deutschland, tausende Kilometer fernab von den Einschlägen der Kassam-Raketen und der israelischen Bomben. Es gibt kein ruhiges Hinterland. Die Lager stehen sich unversöhnlich und moralisierend gegenüber. Plasbergs Talkshowrunde geriet an den Rande der Prügelei. Das Gebaren der alten Garde der (gemäßigten!) deutschen Israelkritik - in Plasbergs Sendung die Herren Blüm, Kienzle und Steinbach - erinnerte an rechte und islamistische Propagandapositionen. Schrille Vertreter der deutschen Pro-Israel-Lobby hingegen - bei Plasberg war es Michel Friedmann - klingen im Gegenzug, als ob sie direkt vom israelischen Generalstab gebrieft worden seien. Aber was sollen Sichtweisen bringen, die sich polemisch an den religiös-nationalistischen Frontlinien orientieren und unfähig sind, aus dem völkischen Wahn der einseitigen Schuldzuweisung herauszutreten? So man dies aber nicht kann oder will, wird es im Nahen Osten weiterhin keine diplomatische, sondern nur eine militärische und damit keine Lösung der Probleme geben.
Dies weiß in Israel eine intellektuelle Minderheit ebenso wie laizistisch und nicht nationalmythisch orientierte PalästinenserInnen, die verstreut auf der ganzen Welt leben. Von einer supranationalistischen Haltung kündeten zuletzt fast alle schlaueren Produkte aus der israelischen Kulturwelt, Filme wie "Die Band von nebenan", "Waltz with Bashir" oder "Alles für meinen Vater". Sie alle stärken die Individualität des Menschen gegenüber dem Dogma des gesichtslosen völkischen Kollektivs. Im israelisch-palästinensischen Konflikt kann es nicht darum gehen, real existierende Ungerechtigkeiten weg- oder schönzureden, sondern es ist auf eine rechtsstaatliche Form der Konfliktaustragung zu pochen, die an die Stelle der derzeit regierenden Archaik der kriegerischen Form treten müsste.
Wo die Politik versagt, wird oftmals die Kultur auf den Plan gerufen. Und oft ist es auch klug, auf die sogenannten weicheren Terrains der Kultur auszuweichen, nach Sprechweisen zu suchen, die nicht sofort in den Sog polarisierter und sich immer weiter polarisierenden Großkonflikte geraten. Doch nicht immer ist das Versprechen des Kulturarbeiters glaubwürdig, der sich über den Konfliktparteien stehend behauptet. Ganz im Gegenteil, wie die gerade in Deutschland früher erbittert geführte Auseinandersetzung um die Haltung und die Ästhetik von Geistesgrößen in der Diktatur zeigte, Herrschaft und Kultur gehen häufig überaus kompromittierende Bündnisse ein. Ein auch in dieser Hinsicht schwierig zu bewertender Fall ist aktuell die Schriftstellerei des Matt Beynon Rees. Dessen zweiter Kriminalroman "Ein Grab in Gaza" ist gerade auf Deutsch erschienen. Als Hauptfigur hat der Brite sich den palästinensischen Privatermittler Omar Jussuf erfunden. An und für sich eine kluge Idee: durch die Alltagsperspektive des palästinensischen Lehrers Omar Jussuf lässt sich eine Gesellschaft ganz anders darstellen als nach den begrenzten Regeln des Journalismus.
Bevor der 1967 geborene Brite Rees beschloss, Kriminalschriftsteller zu werden, leitete er das Nahost-Büro des US-amerikanischen Nachrichtenmagazins Time in Jerusalem. Sein erster Roman "Der Verräter von Bethlehem" profitierte ganz offensichtlich von seinen journalistischen Recherchen in der Westbank und las sich überaus spannend. Mit Omar Jussuf lernten die Leser ein widersprüchliches palästinensisches Bethlehem kennen und ein, wie es schien, halbwegs glaubwürdiges Mosaik von Politik und Verbrechen in der Westbank. Die Literatur des Europäers schien sich den eingefahrenen nationalistischen Erzählmustern zu widersetzen. Rees lies seine Hauptfigur - einen Palästinenser - unter Palästinensern agieren und schälte so in "Der Verräter von Bethlehem" eine Gesellschaft heraus, die viel differenzierter ist, als dies aus der Ferne zumeist wahrgenommen wird. Omar Jussuf, der Lehrer, ermittelt auf eigene Faust in einem Komplott, das sich gegen einen seiner früheren Lieblingsschüler - einen christlichen Palästinenser - richtet. Rees erzählt so von innerpalästinensischen Verbrechen, für die die israelisch-palästinensische Dauerfehde nur die äußere Form bietet. In Wahrheit, so Rees, geht es bei Abwesenheit einer palästinensischen Form von Rechtsstaatlichkeit um Faustrecht unter Clanstrukturen, Morden an Frauen und Außenseitern aus niedrigsten Beweggründen. Das Haus des Omar Jussufs liegt dabei selber in der Einschlagzone israelischer Geschosse, da in der Nachbarschaft palästinensische Banden agieren, die "anständige Palästinenser" wie der von Rees erfundene Privatermittler aber keineswegs akzeptieren.
Die Figur des Omar Jussuf erlaubt Rees, dem Ausländer reale Vorgänge auf palästinensischer Seite unterhaltsam und glaubwürdig zu erzählen. Der "Verräter von Bethlehem" ist literarisch plausibel umgesetzt und eine interessante Variante im weiten Meer der internationalen Kriminalliteratur. Doch was für das erste Buch gilt, muss nicht für das zweite gelten. "Ein Grab in Gaza. Omar Jussufs zweiter Fall", das Erscheinen des Romans wurde wegen des Gazakriegs jetzt vom Verlag in aller Eile vorgezogen, erweist sich als ein schwerer ideologischer Rückfall in nationalistische Vorurteile, die Rees doch eigentlich literarisch überwinden wollte. Um es kurz zu machen: Das Gaza des Matt Beynon Rees besteht in der Hauptsache aus spuckenden, verwarzten Palästinensern, die vom Beten abgeplättete Schädel haben, sich aus niedrigsten Gründen schwer foltern und politisch-ökonomische Rivalen nachts mit Panzerabwehrraketen in die Luft jagen. Abgedunkelte Jeeps im Sandsturm, alle korrupt. Jeder erschießt jeden.
Rees mag sagen, dies sei nun mal die Realität. Als Kritiker muss man dagegen feststellen: So wie der Autor sie in seinem zweiten Roman abbildet, so homogen kann - und vor allem: soll! - sie nicht sein. Wer wie Rees in "Ein Grab in Gaza" die palästinensischen Charaktere derart stereotyp anlegt, der wird sie kaum gut genug kennen oder hat einfach handwerklich gepfuscht.
Als ganz schlechte Idee erweist sich hierbei, dass der britische Autor seinem palästinensischen Privatermittler Omar Jussuf diesmal zwei Europäer zur Seite stellte. Sich fremd und abgestoßen fühlen, bleibt so die zentrale literarische Mitteilung. Dabei wäre der Palästinenser als Nestbeschmutzer, die Sicht Omar Jussufs, noch subversiv deutbar, im Sinne eines Sich-fremd-im-eigenen-Land-Fühlens. Doch das sich immer wieder Bahn brechende kolonial-britische Pathos markiert die Grenzen der Aufklärung von "Ein Grab in Gaza". Die Hamas kann literarisch nur glaubwürdig unterwandern, wer dabei keine antiarabischen Vorurteile schürt. Schließlich ist das kulturelle Schematisieren und Homogenisieren auch die ideologische Voraussetzung für eine "Politik der verbrannten Erde", wie sie die israelische Armee gerade in Gaza betrieb und damit hunderte Zivilisten zur Abschreckung mit in den Tod riss.
Eine Führungsmacht muss Vorbild sein, heißt es immer wieder. Insbesondere die westlichen Demokratien dürften ihre Feinde nicht mit antidemokratischen Methoden bekämpfen. Und auch ein Krimi wie "Das Grab von Gaza" bewegt sich in einem diskursiven Gestrüpp, das Barack Obama in seiner Antrittsrede so beschrieb: "Gegenüber der muslimischen Welt suchen wir nach einem neuen Weg, der sich auf gemeinsame Interessen und gegenseitigen Respekt stützt." Obama - und das ist zentral und sollten sich die eingangs erwähnten Israelkritiker genau anhören - knüpfte an diesen Satz den folgenden Gedanken an: "Den Führern auf diesem Globus, die versuchen, Streit zu säen oder den Westen für die Probleme ihrer Gesellschaften verantwortlich machen, sagen wir: Ihr sollt wissen, dass eure Bürger euch daran messen werden, was ihr aufbauen könnt, nicht an dem, was ihr zerstört." Auf die Verbindung des ersten Gedankens - Respekt - mit dem zweiten - Verantwortung - kommt es an. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die menschenrechtlich motivierte Kritik am Gaza-Feldzug Israels oder dem US-Gefangenenlager Guantánamo in die Propaganda totalitärer Bewegungen wie Taliban oder Hamas umschlägt. Denen war und ist an einer weiteren Eskalation gelegen, für die sie die lokalen Bevölkerungen als Faustpfand und Schutzschild benutzen.
Eine Führungsmacht im Nahen Osten ist auch Israels Nachbar Syrien. Im Spiegel-Gespräch gab Syriens Präsident Baschar al-Assad letzte Woche zu Protokoll:
"Spiegel: Glauben Sie, dass alle Mittel gerechtfertigt sind, welche die Hamas einsetzt und die sie in unseren Augen zu einer Terrororganisation machen?
Assad: Definitiv. Kein Zweifel. Wie können Sie die Hamas des Terrorismus bezichtigen, ohne Israels Taten auch als Terror zu bezeichnen? Während des jüngsten sechsmonatigen Waffenstillstands hat Israel mehr als ein Dutzend Palästinenser gezielt getötet, kein Israeli ist umgekommen. […]
Spiegel: Wir können die Argumentation über einen gerechten Widerstand gegen eine Militärmacht nachvollziehen. Doch die Hamas hat ihren Ruf als Terrororganisation vor allem durch Selbstmordattentate gegen israelische Zivilisten erworben. Wollen sie die auch entschuldigen?
Assad: Ich will nicht über die Arten des Tötens reden. Aber was macht den Unterschied aus zwischen einer Bombe, die am Körper getragen wird, und einer, die aus einem Flugzeug abgeworfen wird? Beide töten. Ich persönlich unterstütze das Konzept der Selbstmordattentate nicht, das ist nicht Teil unserer Kultur. Ob man sie verurteilt oder nicht - Selbstmordattentate sind eine Realität."
Der Unterschied, den ein Diktator wie Assad verwischen möchte, ist der, dass die israelische Regierung erklärt, mit ihren Aktionen eine angreifende politisch-militärische Organisation - und nicht eine gesamte Bevölkerung - treffen zu wollen. Man mag dies nach dem jüngsten Feldzugs anzweifeln, doch der Unterschied in der erklärten Zielsetzung bleibt. Während die in Syrien beheimatete Exilführung der Hamas (ebenso wie die libanesische Hisbollah) qua völkisch-rassistischer Wahnideologie nicht zwischen Kombattant und Zivilist unterscheidet. Und damit auch nicht zwischen Juden und Israelis, wie sich bei Attentaten immer wieder zeigte.
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