■ Gastkommentar: In einem Jahr zu Ende
Ihr ganzer Stolz ist der unbezweifelbare Fakt, daß es sie noch gibt. Doch reicht es wirklich aus, die Ampel dafür zu loben, ein ganzes Jahr lang überlebt zu haben? Es ist nicht selbstverständlich, daß eine Regierung durchhält, die immer mehr zu den Eingeschlossenen vom Bremer Rathaus geworden ist. Bremens Senat wird immer irrealer.
Nach ihrer Wahlkatastrophe ist die SPD ohne jedes Nachdenken über die Ursachen ihres akuten Verfalls und ohne die Personen auszuwechseln, die diesen Verfall widerspiegeln, in die Ampel geflüchtet. Ein Jahr danach muß Bremens SPD befürchten, das jener Erdrutsch von mehr als zehn Prozent Verlust nicht alles gewesen ist. Die Halbierung der einstigen Mehrheitspartei ist denkbar geworden. Dem Wählerschwund entspricht rapider Mitgliederschwund. Die Hinterbliebenen sind ratlos, resigniert, voll ohnmächtiger Wut. Landesparteitage, wenn es denn zu ihnen überhaupt noch reicht, sind Schattenspiele. Kein Autor hätte sich einen Vorgang ausdenken können, der treffender den Zustand der Bremer SPD beschreibt, als das Verschwinden ihres Landesvorsitzenden Isola, der genau ein Jahr nach Unterzeichnung des Ampelpaktes sich verflüchtigt hat. Niemand weiß, wo er geblieben ist.
Er moderiere vorzüglich den Senat, loben Grünfücks und FDP-Jäger ihren Bürgermeister Wedemeier. Doch dieses Lob für den Spitzenmann der SPD zeigt seine Schwäche überdeutlich. Er bringt keine SPD-Position ins Rathaus, geschweige denn heraus. Mit Moderation ist ein leckes Schiff nicht zu retten, wenn die Mannschaft rätselt, ob sie an die Pumpen oder in die Boote soll.
Die von der SPD geführten Senatsressorts müßten denn das Profil nach außen zeigen, das der Spitzenmann nicht bringt. Was im zurückliegenden Jahr noch murrend hinter vorgehaltener Genossenhand beklagt worden ist, wird inzwischen öffentlich laut gejammert. Wenn eine SPD-Linie im Senat überhaupt sichtbar wird, dann sind es Pannen, Pleiten, Peinlichkeiten. Obwohl nicht zuständig, hat die bildungspolitische Diskussion inzwischen die FDP besetzt. Im Sozial- und Gesundheitsressort sind die von Vera Rüdiger erstrittenen Positionen zur Drogenbekämpfung geräumt. Ein Voscherau hat Bremen hier längst links überholt. Von Aids-Prophylaxe ist keine Rede mehr. Die Aids-Infektion mit der Schmuddel-Spritze ist bei der SPD inzwischen kalkuliertes Risiko geworden.
Dem Musterstaat des sozialen Wohnungsbaus wird vom Verbandspräsidenten Meyer, einst Vorzeige-Bausenator der SPD, öffentlich Versagen attestiert. Besonders schlimm aber ist, daß auch Bremens Häfen in die Krise taumeln. Zwar stimmen noch die Umschlagszahlen, doch der Ertrag wird bei der Lagerhaus jetzt rot gedruckt. Bremische Häfen sind nun mal im Spannungsbogen Rheinmündung-Elbe angesiedelt. Wo Rotterdam und Hamburg überboomen, hat Bremen Anlaß zu viel Sorge.
Bleibt das Finanzressort, auf das nur stolz sein kann, wer Hiobsbotschaften genießt. Und wer jetzt schreit, was denn mit Arbeit sei, der wisse, daß eine Wüste nur kennt, wer um ihre Oasen weiß. Womöglich sprudeln noch in anderen Bereichen die Quellen gut angelegter Arbeitsmillionen. Wer sucht, der findet.
Das alles hat ein Jahr gedauert und wird weiter dauern, denn Wesen der Bremer Ampel ist, daß sie sich personell nicht ändern darf. Sie ist vermutlich die einzige Regierung in Deutschland, die mit jedem einzelnen ihrer Mitglieder unter Bestandsschutz steht. Wird nur ein einziges zum Abschuß freigegeben, so muß der Rudeltod befürchtet werden. Die völlige Entleerung der Bremer SPD von politischen Köpfen und ein Regionalproporz, der sich auf Straßenzüge stützt, perpetuiert einstweilen dieses Kabinett der Schatten, dessen Autorität inzwischen asymptotisch gegen null geht.
Wo SPD im Senat nicht stattfindet, müßten die beiden anderen Ampellichter lustig leuchten – allein dem ist nicht so. Auch grün blakt trübe. Zwar hat es allen Skeptikern zum Trotz das Ampelschicksal mit durchlitten, ohne Schluß zu machen, und damit hat Grün eine Leidensfähigkeit bewiesen, die rational kaum noch begründbar ist. Doch was ist der Preis? Fücks und Trüpel haben keine politische Basis mehr. Was einst ihr Kraftquell war, die Mitgliederversammlung und die Parlamentsfraktion, sind ohne öffentliche Anteilnahme still versiegt. Die grünen Einzelkämpfer im Senat können sich arrangieren, ohne das jemand stört. So wird es bei den Öffnungszeiten des Flughafens sein, so bei der Hemelinger Marsch.
Der eigentliche Ampelgewinnler ist die FDP. Sie ist nicht nur bei ihrem Klientel wohl gelitten, auch grüner Anhang und die SPD-Versprengten müssen ihr eine gute Politikleistung attestieren. Inzwischen sind ihre Drohungen, daß sie die Ampel platzen läßt, wenn gegen sie entschieden wird, ein Alptraum für rot und grün geworden. Die FDP hat längst erreicht, daß sie allein die beiden anderen unglücklich machen kann. Von ihr hängt ab, ob Fücks Senator bleiben darf und Wedemeier Bürgermeister, Und große Koalition schreckt sie nicht mehr. Längst meistert sie das Pokerspiel, wonach der SPD-Bluff mit der CDU durchschaut ist. Die angeschlagenen Sozis klammern längst die FDP, und losgelassen gehen sie zu Boden. Die FDP bleibt Herrin des Senats.
So kreist die Ampel weiter in sich selbst. Sie wird die Bürger in Unkenntnis darüber lassen, wie existentiell gefährdet Bremen ist. Die Politikferne des Wahlvolkes wird wachsen, die Mobilisierung des Einwohnerwillens für die Stadt wird weiter fehlen, und bundesweit wird niemand merken, wie eine tausend Jahre alte freie Stadt sich selber überlebt. Doch sind es keine seligen Geister, die diesen Rathausreigen bilden. In spätestens einem Jahr ist dieser Spuk zu Ende. Thomas Franke
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