■ Gastkommentar: Band der Solidarität
Würde die Weihnachtsgeschichte heute in dem Deutschland nach dem Asyl-Beschluß vom 6. Dezember 1992 und nicht vor 2.000 Jahren in der römischen Provinz Judäa spielen, müßte sie anders verlaufen. Nach dem Bericht des Matthäus befahl der Engel des Herrn im Traum dem Josef, mit Maria und Jesus nach Ägypten zu gehen, um dem Mordanschlag des Herodes zu entfliehen. Herodes und mit ihm die gesamte Regierung sahen ihre Herrschaft bedroht durch einen neugeborenen König. Und da sie diesen Konkurrenten nicht ermitteln konnten, ließen sie kurzerhand alle Jungen im entsprechenden Alter in Bethlehem und in der ganzen Gegend umbringen. Unsere Asylrechtsprechung würde diesen Mord vermutlich als eine legitime Maßnahme der Herrschaftssicherung werten, zwar menschenrechtlich bedenklich, aber nicht eine asylrelevante politische Verfolgung.
Hätte der Asyl-Beschluß damals in Ägypten gegolten, hätten Josef, Maria und Jesus allerdings keine Chance mehr gehabt, dort Asyl zu erhalten. Nach der „Karte des Römischen Weltreichs seit Cäsar und Augustus“ mußten sie, bevor sie die römische Provinz Ägypten erreichten, die dem Kaiser unterstehende römische Provinz Arabia durchqueren. Diese Provinz wäre nach dem Asyl-Beschluß vom 6. Dezember 1992 ein Land gewesen, in dem die Heilige Familie ihren Asylantrag hätte stellen können und müssen. Der ägyptische Grenzschutz hätte sie zurückgewiesen. Wären sie jedoch statt über den Landweg mit dem Boot über das Mittelmeer geflohen und hätten sie die Sperren der ägyptischen Küstenwache durchbrechen können, dann hätten sie möglicherweise einen Asylantrag stellen können. Da Judäa aber, wie Ägypten, eine Provinz des Römischen Reiches war, in dem die Pax Romana galt, hätte Judäa vermutlich als „verfolgungsfreies Land“ gegolten. Der Aslyantrag der Heiligen Familie wäre damit „offensichtlich unbegründet“ gewesen. Denken wir noch an Jesus, wenn wir Flüchtlinge sehen, die bei uns Zuflucht suchen? Die Lichterkette jedenfalls verbindet das Geschehen der Geburt Jesu mit den politischen Vorgängen unserer Zeit. Die Menschen, die am ersten Weihnachtsfeiertag auf die Straße gehen, knüpfen ein Band der Solidarität mit den angegriffenen Menschen. Hanns Thomä-Venske
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