■ Gastkommentar: Stoppt den Terror
Berlin, Rostock, Mölln und Solingen: und wieder Lippenbekenntnisse von Politikern. Die schuldigen Neonazis werden bald gefaßt. Wer aber sind die Schuldigen? Nur die Täter, die Häuser in Brand stecken und unschuldige Menschen töten? Nein, mitschuldig sind alle Bürger der Bundesrepublik Deutschland, vor allem sind es die deutschen Politiker. Die Menschenwürde wird verletzt, Demokratie wird mit den Füßen getreten, unschuldige Menschen werden getötet: Trotz allem wird den Terroristen, den Mördern, keine richtige Antwort gegeben. Nur Lippenbekenntnisse, die ja teilweise Unterstützung bedeuten könnten. Nicht mal die deutschen Politiker konnten sich daran gewöhnen, die hier seit über einem Vierteljahrhundert lebenden ausländischen Mitbürger als einen Teil dieser Gesellschaft zu sehen, anzuerkennen und dieses an die deutschen Wähler weiterzugeben.
Wir sind seit über einem Vierteljahrhundert de facto Bürger dieses Landes ohne jegliche politischen Rechte. Es ist unerträglich und mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar, daß Menschen viele Jahre in einer Gesellschaft ihren Lebensmittelpunkt haben und alle Pflichten eines deutschen Staatsbürgers erfüllen – ohne politische Mitbestimmungsmöglichkeiten. Man kann nicht über Jahrzehnte hinweg über zehn Prozent der MitbürgerInnen der Stadt außerhalb des politischen Geschehens halten. Sie haben in diesem Vierteljahrhundert bewiesen, daß sie loyale BürgerInnen geworden sind. Allein in Berlin gibt es beispielsweise über 10.000 ausländische Unternehmer, die auch Arbeitsplätze für Deutsche schaffen. Sie investieren jährlich mehrere Millionen Mark und zahlen auch mehrere Millionen Mark Steuern. In unserer zweiten, realen Heimat wollen wir deshalb endlich unseren Platz einnehmen und mitgestalten.
Die Ermordung von fünf unschuldigen türkischen BürgerInnen in Solingen hat bei unseren Landsleuten neben der Trauer wieder Angst und eine spürbare Wut erzeugt. Wir fühlen unser Grundrecht eingegrenzt: unser Recht auf Leben und unsere Freiheit. Wir haben Angst, zur Arbeit zu gehen, wir haben Angst, unsere Wohnungen zu verlassen, wir haben Angst beim Schlafen. Wir fordern alle Politiker und demokratischen Kräfte auf, durch gezielte Aktionen und Maßnahmen dem Ausländerhaß entgegenzutreten. Der Staat muß Farbe bekennen und dem Rechtsextremismus und Rassismus entgegenwirken. Die Politiker tragen die Hauptverantwortung für ein friedliches Miteinanderleben. Sie müssen der Bevölkerung deutlich machen, daß wir ein Bestandteil dieser Gesellschaft geworden sind. Obwohl es fünf nach zwölf ist, geben wir noch unseren Landsleuten den Rat, bei solchen Provokationen wie in Solingen die Ruhe zu bewahren und sich nicht provozieren zu lassen. Und wir erwarten immer noch vom deutschen Staat, daß er unser Leben und unsere Seele schützt. Hüsnü Özkanli
Generalsekretär des Verbands Türkischer Unternehmer in Berlin und ehemaliger Vorsitzender der Türkischen Gemeinde.
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