■ Gastkommentar: Unter Wert verkauft
Wenn damals alle rübergegangen wären, denen ihre Eltern, Nachbarn, Lehrer und sonstigen Blockwarte sagten, sie sollten doch rübergehen in die Zone, wenn's ihnen hier nicht gefiele, ja, dann gäbe es die DDR vielleicht noch.
Wer aber nicht zufällig aus der RAF aussteigen mußte oder sonstwie vom Hahn bestrampelt war, hatte so recht eigentlich keinen Grund, in die DDR auszuwandern. Sie war nicht besonders ansehnlich, und wer wollte schon zurück in die fünfziger Jahre, denen die Bundesrepublik erst vor kurzem glücklich entronnen war.
Die DDR könnte es vielleicht noch geben, aber leider hat sie sich ihr Lebtag lang unter Wert verkauft. Die Mauer zum Beispiel sah einfach nicht besonders gepflegt aus: Bruchsteine im Betonmantel an Stacheldraht; das hätte man, mit etwas Mühe und ein wenig gutem Willen, wirklich besser machen können.
Die Mauer, gab nun zerknirscht der ehemalige Vizeverteidigungsminister der DDR, ein gewisser Herr Streletz, zu Protokoll, habe ein „Bild geboten, das für die DDR nicht ganz freundlich war“. (Wenigstens waren seine Jungs immer ordentlich gekleidet und konnten hin und wieder auf einen Flüchtling schießen, dem der Anblick der Mauer gar zu abscheulich war.)
Der Sozialismus sei dadurch „nicht gerade attraktiver“ geworden, befindet der Ex-Landesverteidiger heute: Auf weite Strecken verfallen die Mauern, unverputzt, Sichtbeton, die Zäune kaputt, der Stacheldraht verrostet, ein richtiger Schandfleck. Da empfing Honecker seine Staatsgäste und mußte sich die ganze Zeit in Grund und Boden schämen für das miserable Erscheinungsbild seiner Grenzanlagen. Von wegen Weltniveau!
Herr Streletz befindet sich derzeit mit ein paar anderen Herren vor Gericht. Vielleicht hat ja ein Richter das historische Einsehen und verurteilt den gewesenen Vize zum Aufbau Ost. Herr Streletz könnte schon einmal damit anfangen, die Mauer zu renovieren: schöner, größer, besser als je zuvor. Mindestens Weltniveau. Willi Winkler
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