Gastbeitrag des SZ-Magazins: Deutsche Blogs funktionieren nicht
Deutsche sind fixiert auf Hierachie, ignorieren die Stimme des Volkes, haben Angst sich zu irren, machen Ferien und sechs weitere Gründe, warum Blogs hier nicht funktionieren.
1. Das Internet ist eine große Gleichheitsmaschine, was dazu führt, dass selbst junge und sogar anonyme Blogger berühmt und wichtig werden können. Respektierte Professoren und einflussreiche Experten dagegen werden in der Blogosphäre oft ignoriert, weil sie nicht sagen, was sie wirklich denken, oder weil das, was sie sagen, einfach zu langweilig und vorhersehbar ist. Deutschland funktioniert genau andersherum: Hier ist man immer noch fixiert auf Status und Hierarchie.
2. In Deutschland zählt Qualifikation mehr als alles andere. Die Leute verbringen Jahrzehnte damit, die verschiedensten Diplome und Zeugnisse und Zertifikate zu sammeln, und wenn sie dann alles beisammenhaben, sorgen sie dafür, dass die Welt das weiß. Wenn man kein Papier hat, auf dem steht, dass man sich zu diesem oder jenem Thema äußern darf, dann darf man seine Meinung auch keinem anderen zumuten.
Die Leser sind übrigens nicht viel anders, auch sie wollen zuerst wissen, ob der Schreiber qualifiziert genug ist, bevor sie sich dafür interessieren, was der Schreiber denkt. In der Blogosphäre dagegen ist es völlig egal, ob jemand ein zertifizierter Meinungsträger ist – was zählt, ist allein, ob die Meinungen stichhaltig, originell und klug sind.
3. In Amerika ist es den meisten Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft wichtig, was die Blogosphäre sagt – sogar einem selbstherrlichen Ökonomen wie Larry Summers, dem Chefdenker der Obama-Administration. Er liest Blogs täglich, und zwar nicht nur solche von Technokraten mit einem großen Namen. Er liest auch die Blogs von Leuten, die normalerweise kein Gehör finden würden in der Politik. Er respektiert die Stimme des Volkes, was eine sehr amerikanische Haltung ist und keine besonders deutsche.
4. Um ein guter Blogger zu sein, muss man ganz andere Dinge können als ein großer Ökonom oder Banker. In Deutschland denken die Menschen dauernd an ihre Karriere und kümmern sich eher um die Fähigkeiten und Voraussetzungen, die wichtig sind für ihren Beruf, als um die viel weniger wichtigen Faktoren, die sie zu einem guten Blogger machen würden.
5. Ein Blogger muss sich irren, wenigstens manchmal. Wenn er sich nie irrt, dann ist er nie interessant. In den meisten Ländern ist das eine der großen Schwierigkeiten für die Blogo-sphäre: Die Menschen haben Angst davor, etwas zu schreiben, das sie dumm aussehen lässt. In Deutschland ist diese Angst besonders stark ausgeprägt, weil hier jedes öffentliche Wort genau gewogen wird.
Wenn du über etwas schreibst, womit du dich nicht auskennst, wirst du Angst haben, einen wichtigen Aspekt zu übersehen. Wenn du über etwas schreibst, womit du dich gut auskennst, wirst du Angst haben, dass die Leute dich nicht mehr ernst nehmen, wenn du einen Fehler machst.
6. Die Deutschen sind methodisch und systematisch und umfassend in dem, was sie tun. Die Blogger lieben Schnellschüsse, sie machen Dinge ad hoc, es ist schwer, sie festzunageln.
7. Blogger sind die natürlichen Außenseiter, sie sind sogar stolz auf diesen Status und sehen sich gern als die Einzigen, die im Angesicht der Macht die Wahrheit sagen. In Deutschland kommt man nicht besonders weit, wenn man sich zum Außenseiter erklärt, man gewinnt kein Ansehen – und Ansehen ist etwas, wonach fast alle Deutschen streben.
8. In Amerika sind es, gerade im Wirtschaftsbereich, vor allem Professoren, die bloggen – und die lieben nichts mehr, als Ideen auszutauschen und miteinander online zu diskutieren. Deutschland hat eine andere Professorenschaft, andere Universitäten und vor allem kein Blogger-Nest wie die George Mason University in Virginia.
9. Die Deutschen werden nicht arbeiten, wenn sie kein Geld dafür bekommen, und Bloggen wirkt auf sie verdächtig wie Arbeit. In Amerika verdient man mit Bloggen nur indirekt Geld, durch Ruhm und Bekanntheit, die einem der Blog bringt. Da ein deutscher Blog kaum Ruhm oder Bekanntheit bringen wird, gibt es keinen wirklichen Grund zu bloggen.
10. Die Deutschen nehmen ihre Ferien extrem ernst. Der Blogger kennt keine Ferien.
Dies ist ein Gastbeitrag aus dem aktuellen Magazin der Sueddeutschen Zeitung. Das widmet sich komplett dem Thema "Wozu Zeitung?" - die Sinnkrise der klassischen Medien im aufkommenden Zeitalter des Internets - mit 26 weiteren Texten zum Thema.
Leser*innenkommentare
Clara
Gast
Populär wird man als Blogger in Deutschland sicherlich nicht. Aber es gibt viele Bereiche in denen man durch Blogs mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Und bei so trivialen Themen wie Technik oder kann man damit viele Besucher erreichen. Im Bereich des mobilen Internets habe ich damit schon viel Erfahrung machen können.
Michi
Gast
Ich bin im Bereich Webdesign Hamburg tätig und spreche viel mit Kunden über Sinn und Unsinn dieser Möglichkeit seine "privates" nach außen zu kehren. Für einige kann das aber auch ein Nutzen haben also weg mag soll es nutzen. Gruß Michi
Stephan
Gast
Dieses ganze Gelaber um Blogs geht mir so was von auf den Keks... Ich lese dieses Zeugs überhaupt nicht mehr, weil es oftmals schlecht formuliert, schlecht oder gar nicht recherchiert ist und für mich eh ein Hype ist, der irgendwann als berechtigte Nische sein Dasein finden wird, aber nicht als ernstzunehmendes Informationsmedium.
PS: ganz wenige brauchbare Blogs gibt es ja.
Anonym
Gast
Es gibt nur einen Grund, warum Blogs in Deutschland nicht funktionieren: Hier existiert im Gegensatz zu den USA keinerlei Meinungsfreiheit. In der BRD sitzt man als Blogger ganz schnell vor den allseits bekannten Richtern in Hamburg und kann seiner bürgerlichen Existenz leise Servus hinterherrufen, falls man über keine eigene Rechtsabteilung und unbeschränkte finanzielle Mittel verfügt.
Godwi
Gast
Der Beitrag von Felix Salmon passt mir so gar nicht. Er steckt voller Klischees und Halbwahrheiten. Ich habe mir deshalb erlaubt, ihm auf meinem eigenen Blog zehn Gründe entgegenzusetzen, warum Blogs in Deutschland doch funktionieren.
Bildungswirt
Gast
Die bekannte Klage zur deutschen Blogosphäre bei gleichzeitiger Glorifizierung der amerikanischen.Niggemeier setzt dann noch einen drauf, warum Felix Salomon nichts verstanden habe und schon winken die 10 nächsten Gründe, warum es alles ganz anders ist, usw. So wabbert die Endlosschleife vor sich hin, die Ironie hinkt hinterher.
Wohltuend hebt sich davon ab: DER FREITAG - ein engagiertes Medienprojekt: Print,Online und Blogger-Community. Sicher gibt es noch einige Kinderkrankheiten, doch die BloggerInnen mausern sich: inhaltlich, thematisch, sprachlich und auch quantitativ.
Freundliche Grüße vom Bildungswirt
Hannes Riehl
Gast
Lieber Author, du liest eindeutig die falschen Blogs ^^
Hner
Gast
Ich hab' mir auch mal die Mühe gemacht, den Spaß im "Schnellschuss" zu kommentieren: http://sehrhner.de/archives/865
Michael
Gast
so what ???!!!
Hans
Gast
Blogs würden vielleicht in Deutschland besser funktionieren, wenn man sich nich soviel Mühe machen würde herrauszufinden warum sie es (angeblich) nicht tun.
Ich bin zwar kein Blogger der ersten Stunde, denn ich muß zugeben Blog lange Zeit ignoriert zu haben, doch seit ein paar Jahren lese und schreibe auch ich, mal wenn mir die Lust dazu ist.
Und genau so ist es doch auch gedacht.
Hans
myrna
Gast
Die Leberwurstkommentare zu diesem Artikel zeigen sehr schön, wie richtig die zitierten Thesen sind.
Auch wenn die taz ansonsten selbst häufig so deutsch ist, wie es nur irgend geht, sind halt gelegentlich auch mal amüsante Perlen dabei.
Marie Lefebre
Gast
11) Vergleiche 5) und 8)
Unzeit-gemäß
Gast
Etwas zugespitz, bzw. pauschalisiert das ganze, aber im Kern ist was dran. Im klassischen Land des Beamtentums und der staatlichen Universitäten haben akademische Titel in der Tat eine größere Bedeutung als in den USA. (Was nicht heißen soll, das die im Neoliberalismus auch bei uns langsam anzutreffende Abwertung formaler Qualifikationen nur gute Seiten hätte).
amp
Gast
hey journalist!
1) "die Blogger" sind nicht nur männer! Und demnach nicht nur "er".
Aber wenn du so ein erfolgreicher blogger-man bist, dann musste dich ja auch mal irren, wa!?
2) Hast du gewusst, dass es überhaupt eine ganz andere Internet und Laptop und WIFI-Kultur in den USA gibt? Dass Arbeiter und Studierende dort seit viel mehr Jahren als in der alten Welt mit PCs viel Arbeit erledigen und so, statt an der Kaffeemaschine plaudernd ihre Zeit zu vertrödeln, Internet-Spiele entwickeln?
3) Ich und mein Blog. Deiner interessiert mich gar nicht. Hauptsache du liest meinen...ach halt, ick hab gar keinen! Aber einen deutschen Pass..
AndreasPraefcke
Gast
Muss die taz eigentlich jeden Unfug nachdrucken, der ihr kostenlos angeboten wird? Peinlich. Die nötigen Worte zu diesem Artikel sind hier zu finden: http://www.stefan-niggemeier.de/blog/schoener-sterben-mit-dem-sz-magazin/
Leser
Gast
Naja, vielleicht interessieren sich hierzulande derzeit eher wenig Leute für Blogger, weil die Zeitungen einfach mal interessanter und vielfältiger sind als in den USA. Wo ist zum Beispiel die amerikanische taz? Der amerikanische Freitag? Die amerikanische Jungle World?
Vielleicht ist hier die Notwendigkeit einfach ein bisschen geringer (was nicht heißen soll, dass ein paar interessante, erfolgreiche, politische Blogs in Deutschland keine Bereicherung wären).
Detlev Freigang
Gast
Ihr Artikel ist genau das, weshalb ich - mein Leben auch mit "dem Sammeln von Diplomen" verbringend (ignoranter Schwätzer!) - einen Blogg nie ernstnehmen würde: Eine ad infinitum verbreitete, miserabel formulierte und inhaltslose Privatansicht (von einer "Meinung" zu sprechen, verbietet der gute Geschmack oder die Seriosität, wie Sie wollen...). Ach, und übrigens: In der kleinen bunten Welt der Bundesrepublik funktioniert die Demokratie im Internet auch ohne Blog: Gucken Sie mal auf die Zahlen einer gewissen Petiotion....
Mit freundlichen Grüssen
in die Welt des Allgemeinen und belanglosen
D. Freigang, Berlin/Luzern
K.H.Kowalski
Gast
Auch bei "Gastbeiträgen" ruhig mal nachprüfen/recherchieren; St. Niggemeier hats getan.
http://www.stefan-niggemeier.de/blog/schoener-sterben-mit-dem-sz-magazin/