Gartenkolonie droht Aus: Die große Wut der Kleingärtner
Die Kolonie Durlach ist ein grünes Idyll. Doch ab 2010 will der Senat die Fläche als Bauland vermarkten. Die Wilmersdorfer Kleingärtner wehren sich.
Die Gartenkolonie an der Durlacher Straße in Wilmersdorf trägt Trauer. Gleich am Eingang zum grünen Mikrokosmos hängt ein Transparent in Form einer großflächigen Todesanzeige: "1915 - 2010. Müssen wir weichen für die Reichen?" Daneben wartet Michael Lucas. Seit mehr als 20 Jahren ist er hier Vorsitzender. Der 68-Jährige mit runder Brille und ergrauendem Vollbart strahlt Ruhe aus. Aber wenn Einsatz gefragt ist, dann ist er zur Stelle. Wie jetzt.
Der Kolonie Durlach droht das Aus. 2010 läuft ihre Schutzfrist aus, eine erneute Verlängerung wie noch vor sechs Jahren lehnt Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) ab. In einer schriftlichen Stellungnahme vom Juni des Jahres verweist sie auf die "Wohnungsentwicklungsplanung" für das landeseigene Grundstück. Laut dem Brief befinde sich die Kolonie in einer "begehrten Wohnlage": direkt am Volkspark Wilmersdorf, mit Bahn und Auto hervorragend zu erreichen, dazu eine ausgebaute Sozialstruktur. Das im Flächennutzungsplan festgeschriebene Bauland ist dazu bestimmt, an meistbietende Investoren verkauft zu werden. Die Kleingärtner wollen diese Pläne nicht einfach hinnehmen.
Kleingärten sind nicht erst seit der Wirtschaftskrise gefragtes Grüngut: Mit fast 950 Anlagen ist Berlin durchsetzt von Kolonien wie kaum eine andere Großstadt. Die meisten genießen dauerhaft Schutz; 110 aber gelten als ungesichert, ihre Flächen gehörten entweder privaten Eigentümern oder sie befinden sich auf öffentlichen Flächen, für die es anderweitige Baupläne gibt.
Die Diskussion um den Erhalt der Kleinode begann, als die Bundespost ihre Immobilien und Grundstücke an den Investor Lonestar verkaufte. Auch die Bahn entwidmete Flächen, der Bund verkaufte Grund über die Bundesimmobilienanstalt (Bima). Mit der Veräußerung an Investoren wuchsen die Sorgen von Kleingärtnern, was aus ihnen und ihren Kolonien wird.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Merkel vermittelt zwischen den Parteien. Die Gespräche mit den Investoren bezeichnet die Politikerin, die selbst einen Garten bewirtschaftet, als vertrauensvoll. Allerdings weist Merkel auf ein grundsätzliches Problem hin: "Das Problem ist, dass die Flächen meistens geräumt werden, und dann passiert jahrelang gar nichts." Eine Herausforderung, die sich in Zeiten der Finanzkrise noch verschärfen dürfte.
Ein weiteres Problem für viele Gärtner sind übergroße Lauben. Wohnten früher viele ganz in ihren Häuschen, müssen sie nun laut Gesetz zurückgebaut werden. PEZ
Und sie sind nicht allein. Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf sind außerdem die Kolonien "Am Fenn" und "Wiesbaden" betroffen. Dazu kommt die "Grüne Aue" in Treptow-Köpenick und die Neuköllner Kolonie "Hand in Hand"; bei beiden wurde die ursprünglich erst 2014 auslaufende Schutzfrist um vier Jahre verkürzt. Auf Nachfrage nach den Gründen für den Beschluss reagiert der Senat mit generellen Erklärungen. "Wir leben nicht unter einer Käseglocke, Stadt und Gesellschaft entwickeln sich weiter", heißt es bei der Referatsleiterin für Stadtgrün, Beate Profé.
Ganz anders sieht das der Präsident des Landesverbands der Gartenfreunde. Peter Ehrenberg kämpft um jede Kolonie und bezeichnet das Feilschen um Fristen als "unsägliche Notlösung". Er fordert langfristige "Planungssicherheit" - am besten gleich für eine ganze Generation von Kleingärtnern, also für die Dauer von 30 Jahren.
Fünf Jahre hat Familie Lucas auf ihr Stück Grün gewartet. 1984 war es endlich soweit; ihnen wurde der Garten mit der Nummer 11 zugeteilt. Seitdem haben sie dort mit viel Eifer gebaut und gepflanzt. Sogar für den Wunsch der Ehefrau nach einem plätschernden Gartenteich hat ihr Mann eine Lösung gefunden. Denn in der kleinen Idylle inmitten einer steinernen Wohnlandschaft gibt es keinen Stromanschluss. Der Rasen wird hier ohne Motor gemäht, aber im Teich sprudelt das Wasser. Ein Solarmodul spendet Energie. Zwischen wildem Grün und blühendem Bunt ragt der Stromerzeuger in die Höhe.
In Durlach gibt es 20 Parzellen, mit je 200 Quadratmetern sind sie eher klein. Da bleibt nicht viel Freiraum für einen ambitionierten Naturfreund. In vielen Gärten geht es deshalb gedrängt zu: Bäume und Sträucher mit Obst, Blumenecken, dazu ein Fleckchen Wiese und ein Gartenhäuschen. Früher war die Kolonie größer. Im Laufe der Jahre ist sie auf die Hälfte geschrumpft: auf der einen Seite wurde ein Altersheim errichtet, auf der anderen Seite ein Neubau. Nun soll auch das dazwischen liegende Restgrün weichen.
Die übrig gebliebenen Pächter sammeln dagegen Unterschriften, drucken bunte Flyer in fetten Großbuchstaben "Garten statt Beton" und schreiben Briefe an Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen (SPD). Thiemen setzt sich für eine Fristverlängerung ein. Ansonsten seien ihr die Hände gebunden. Schließlich handelt es sich um eine Senatsentscheidung - da "kann der Bezirk nichts machen".
Von der Politik ist man in Durlach sowieso enttäuscht. Die Kleingärtner fühlen sich "machtlos" und "ohne Lobby". Um sich nicht kampflos dem Schicksal und der drohenden Kündigung zu fügen, braucht es einen engagierten Vorreiter wie Michael Lucas. Er mache das gern, sagt er. Es sei ein Halbtagsjob, entgegnet seine Frau. Etwa zehn Gartenfreunde haben an diesem Nachmittag im weißen Partyzelt Platz genommen. Die meisten Kleingärtner hier sind im Ruhestand und hören einfach zu, wenn ihr Vorsitzender erzählt, etwa von der großen Unterstützung in der Nachbarschaft. Viele Anwohner füllten die Unterschriftenlisten aus; in Geschäften liegen ihre Flyer aus. Doch reicht das aus?
Stephan Berendonk kennt eine solche Situation aus eigener Erfahrung. Er war letzter Vorsitzender der Gartenkolonie "Württemberg", die nur wenige Straßen vom Kurfürstendamm entfernt lag. 2004 lief die Schutzfrist für die 50 Schollen ab. Danach dauerte es zwar noch vier Jahre bis zur endgültigen Kündigung. Doch was dann geschah, hat die Gartengemeinschaft tief gespalten: Die Meisten haben ihren Garten geräumt und eine "großzügige" Entschädigung erhalten. Aber 18 Pächter weigern sich bis heute, ihre Grünfläche zu verlassen; in wenigen Tagen treffen sie sich wieder vor Gericht. Sie klagen gegen den Liegenschaftsfonds. Der nennt das Ganze eine "unerfreuliche Auseinandersetzung". Der Liegenschaftsfonds arbeitet als Makler für das Land Berlin. Provisionsfrei. Mit dem Auftrag, die Landesgrundstücke zum höchstmöglichen Preis zu verkaufen.
"Wir haben keine Chance gesehen", sagt Berendonk zur Verweigerungsstrategie der Abtrünnigen. Von Jahr zu Jahr immer wieder um den eigenen Garten hoffen und bangen, das wollten er und seine Frau nicht. Vor allem aus Altersgründen haben sie das Angebot ausgeschlagen, ein Ersatzgrundstück zu übernehmen und neu zu bewirtschaften. "Es ist uns nicht leicht gefallen, aber wir haben mit dem Thema Kleingarten abgeschlossen", erzählt der heute 70-Jährige. Ab und zu kommt er noch am alten Grundstück vorbei. Dabei stellte er fest: "Dieses Jahr ist ein Obstjahr." Es gibt viele Kirschen, Birnen, Pflaumen. So ganz kann er es doch nicht lassen.
Das Schicksal der Kolonie Württemberg kennen auch die Durlacher Kleingärtner. Deshalb überlegen sie, einen Vertrag aufzusetzen, den alle unterschreiben müssen. Niemand soll vorzeitig ausscheren und der Gemeinschaft in den Rücken fallen. Schließlich geht es ums Prinzip. Kämpfen bis zum bitteren Ende.
Daher auch die vier neuen Protestschilder, die an einem Walnussbaum lehnen. Sie kommen von der Kolonie Oeynhausen in Schmargendorf, wo sie nicht mehr gebraucht werden. Drei Jahre haben 437 Gartenbesitzer gegen die Bagger gekämpft. Inzwischen ist entschieden, das frühere Postgelände wird im Bebauungsplan als dauerhaft gesicherte Kleingartenfläche ausgewiesen. Damit ist die Kolonie gerettet, die Transparente können ab.
Nun kommen sie in Durlach zum Einsatz. "Ich habe Schrauben und Paketbinder", ruft Michael Lucas voller Tatendrang. Die Schilder werden auf der Rückseite der Kolonie angebracht. Jetzt kann jeder Spaziergänger im Volkspark lesen: "Koloniesterben muss ein Ende haben."
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