: Gaddafi stellt sich als Befreier der Geiseln dar
■ Die französischen Geiseln der Abu-Nidal-Gruppe „Fatah-Revolutionsrat“ wurden gestern Vormittag angeblich auf Wunsch Gaddafis in Beirut freigelassen / Während sich der französische Außenminister beim libyschen Revolutionsführer bedankt, bleibt die Affäre weiter mysteriös
Paris/Beirut (dpa/afp/taz) - Auch nach der am gestrigen Vormittag erfolgten Freilassung der 30jährigen Französin Valente, ihrer Tochter und ihres belgischen Freundes bleibt die gesamte Geiselaffäre mysteriös. Zu viele Ungereimtheiten umranken das Drama. Sicher ist, Frau Valente wurde zusammen mit ihren zwei Kindern und fünf Belgiern bei einer Kreuzfahrt auf der Jacht „Silco“ im Mittelmeer verschleppt. Am 8.11.1987 erklärte die Abu-Nidal-Gruppe „Fatah -Revolutonärer Rat“ (Fatah-RC), die „Silco“ geentert zu haben.
Die 1974 entstandene Abu-Nidal-Gruppe ist die einzige Palästinenserfraktion, die Geiseln gefangen hält. Die Fatah -RC wird insbesondere von den USA beschuldigt, eine führende Rolle im internationalen Terrorismus zu spielen. Sie gehört der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) nicht an und unterhält enge Beziehungen mit Libyen, Syrien und Iran. Der Fatah-RC-Vorsitzende Abu Nidal, dessen wahrer Name Sabri el Banna lautet, wurde 1974 von PLO-Chef Arafat zum Tode verurteilt. Die Gruppierung lehnt die von Arafat eingeleitete Politik der Öffnung ab und betrachtet den PLO -Vorsitzenden als „Verräter“. Doch wie es auch immer zur Kaperung der „Silco“ und zu der Geiselnahme gekommen sein mag, eines steht definitiv fest: Die Geiseln waren in der Hand der Nidal-Gruppe. Und die verbreitete bald Video -Aufnahmen von Frau Valente und ihren Kindern, die sich anscheinend frei in einem Haus bewegten. Derweil behauptete die französische Regierung, die letzten französischen Geiseln im Nahen Osten seien seit Mai 1988 frei. Auch Belgien ignorierte die Angebote der Nidal-Gruppe, die verschleppten Belgier gegen den Terroristen Said Nasser auszutauschen. Frankreichs demonstratives Desinteresse fand erst ein Ende, als Frau Valentes Angehörige mit spektakulären Hungerstreiks die französische Öffentlichkeit aufbrachten. Auch Brüssel änderte daraufhin seine Haltung und verhandelt jetzt mit den Entführern.
Die offenen Fragen wurden jedoch mit Frau Valentes Freilassung nicht beantwortet. Im Gegenteil: Jetzt taucht zusätzlich die Frage auf, warum die Palästinenser - wie schon bei den Valente-Töchtern Ende 1988 - angeblich einem Wunsch Gaddafis folgten und drei Geiseln freiließen. Klar ist nur, daß es Gaddafi mit dieser Aktion gelungen sein dürfte, sein durch den lautstarken Streit um die angebliche Giftgasfabrik im libyschen Rabta angeschlagenenes Image aufzupolieren. Frankreich will sich bereits erkenntlich zeigen. Der französische Außenminister Dumas dankte dem libyschen Revolutionsführer für die „humanitäre Geste“ und versprach, sie bei der Bewertung der „Beziehungen zwischen Frankreich und Libyen richtig zu würdigen“.
Nach der Freilassung der drei Geiseln hält die radikale Palästinenserorganisation „Fatah-Revolutionsrat“ in Libanon noch vier Belgier fest. Weitere 17 Ausländer müssen als Geisel weiter die Gefangenschaft extremistischer schiitischer Geiselnehmer in Libanon ertragen.
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