GLOSSE: Olof-Palme-Gedächtnisstau
■ Beängstigende Nachrichten aus der Stauforschung
Der Berliner Verkehrsstau hat einen schlechten Ruf, daran kommt inzwischen niemand mehr vorbei. Die Berliner scheinen nicht nur den Gefallen an ihren Staus verloren zu haben — sie meiden sie regelrecht. In den oberen Etagen der Berliner Verkehrspolizei macht man sich darüber inzwischen ernsthafte Sorgen. Während Spähtrupps vor einem Jahr noch mit dem zufriedenstellenden Resultat von zwei Stunden Fahrzeit für die gesamte Potsdamer Straße in die Quartiere zurückkamen, schaffte vor kurzem ein Kollege im Zivilfahrzeug die gesamte Strecke in lächerlichen 45 Minuten. Nachmittags um drei. Auch die klammheimliche Einführung des Soll-Staus erfüllt nicht mehr die in sie gesetzten hohen Erwartungen. So hat man vor einigen Jahren zwischen Elefantentor und Europa-Center eine tückische Fußgängerampel installiert und damit bis vor wenigen Monaten phantastische Erfolge erzielt. Inzwischen schaffen es gewiefte Fahrer vom Bahnhof Zoo zum Interconti in einer coolen halben Stunde. Ohne Umwege.
Besonders enttäuscht ist man in den Amtsstuben über die mit großen Vorschußlorbeeren versehene Installation mobiler Baustellen. Zufriedenstellende Resultate erzielt zur Zeit noch ein als Bewag-Tunnel getarntes Exemplar mitten auf der Kreuzung Leipziger/Friedrichstraße, während jene aggressive Variante, bei der ein Fußgängertunnel weit auf die rechte Fahrspur hinauslappt, bei der Bevölkerung auf unangenehm positive Resonanz stieß: Plakatierfirmen stürzten sich mit Begeisterung auf die riesigen Klebeflächen, und Kleinkriminelle nutzten sie als Proberaum für den schnellen Handtaschenraub.
Mit diesen Problemen konfrontiert, hat man sich bei den Staufreunden auf völlig neue Wege zur Aufwertung der Berliner Verkehrsstaus begeben. Ein eher beiläufig geäußerter Vorschlag eines jüngeren Mitarbeites mit kulturellem Hintergrund (abgebrochenes Filmstudium) brachte vor einigen Wochen neues Leben in die stagnierende Diskussion: Er schlug vor, bestimmten Staus Kultstatus zu verleihen. Als erster Schritt in diese Richtung gilt die gerade erfolgte Benennung des Platzes vor dem Elefantentor mit dem Namen eines obskuren schwedischen Politikers. Der autofahrende Bevölkerungsteil soll damit langsam auf die Einführung des ersten Berliner Kultstaus vorbereitet werden, ein Vorhaben, das man mit dem Hereinbrechen der ersten Touristenwelle zu Ostern realisieren will. Dann nämlich wird der Verkehrssenator den Olof-Palme-Gedächtnisstau durch die Unterführung an der Gedächtniskirche geleiten. Im schwarzen Volvo. Bitte achten Sie auf entsprechende Verlautbarungen in Ihrer Tagespresse.
Günther Grosser
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