GLOSSE: Seien wir Ausländer ehrlich
■ Wir sind es doch schließlich, die geschafft haben, was bisher niemandem gelang: die Deutschen sind wiedervereinigt!
Als Türke in Deutschland finde ich die Angriffe auf Ausländerheime richtig, hinter denen unheimlicher Haß steckt. Menschen, die nicht in der Lage sind zu hassen, können selbstverständlich nicht beurteilen, wie schwer es ist, einen Menschen zu hassen. Ich habe mir mein Leben lang Mühe gegeben, irgend jemanden ordentlich zu hassen. Und? Nichts. Dafür bin ich wohl zu doof, zu blöd. Haß erfordert Kraft, Energie, Anstrengung. Das sind alles Eigenschaften, die ein Orientale nicht haben kann, denn der ist schlampig, hinterlistig, feige, faul. Er kann mörderisch sein, aber er kann nicht zivilisiert hassen. Er kann morden, dann heulen, weil er bereut, der zivilisierte Hasser aber haßt noch nach dem Tod. Ich schätze die Mühe, die zum Hassen gebraucht wird, daher gebe ich den deutschen Jungs recht. Ich weiß, was ich tue, sonst wäre ich nicht in Deutschland geblieben. In diesem Land weiß jeder, was er tut. Überhaupt haben die Deutschen immer gewußt, was sie getan haben. Aber dann haben sie vergessen, was sie taten, denn sie taten nichts, was sie nicht vergessen konnten.
Seien wir, die Ausländer, ehrlich, wie eben ein Deutscher sein kann, und geben zu, daß wir immer parteiisch und tendenziös denken, wenn die Rede auf die Belange der Ausländer kam. Sind nicht wir es gewesen, die diese Jungs daran erinnert haben, daß sie arbeitslos sind? Wissen wir denn nicht, daß die Arbeitslosigkeit einen Deutschen sofort an die Weimarer Zeit und die nachfolgende Ära erinnert? Wie jeder Ausländer wissen muß, will kein Deutscher an dieses verdammte Reich erinnert werden. Viele Deutsche haben Brüder, Schwestern, Söhne und Schwiegersöhne verloren. Adolf war ein deutschfeindlicher Österreicher. Ich habe in Deutschland nur die Deutschen getroffen, die den Juden geholfen haben. Und viele Deutsche haben selber Asyl gesucht im Ausland. Natürlich gibt es einen kleinen Unterschied zwischen dem deutschen Asylanten von damals und den rumänischen von jetzt. Die deutschen Asylanten von damals haben alle, ohne Ausnahme, Deutsch gekonnt. Die Rumänischen von heuer dagegen kein Wort. Und die deutschen Asylanten von damals haben im Ausland Asyl gesucht, die Roma aber in Deutschland. Asyl sucht man im Ausland, nicht aber in Deutschland.
Seien wir zivilisierte Menschen, wie eben die Deutschen, und denken wir objektiv, dann werden wir feststellen, daß wir, die Ausländer, schuldig sind. Im Fernsehen hat ein Deutscher gesagt, daß das Anbetteln der Asylanten ihn gestört habe. Warum weiß kein Asylant, daß das Anbetteln einen Deutschen tief verletzen würde, weil der Deutsche das Anbetteln als menschenunwürdig empfindet und sich selbstverständlich verletzt fühlt, wenn er einen anderen Menschen beim Anbetteln erwischt. Der Deutsche schämt sich nämlich, daß er trotz seiner Arbeitslosigkeit mehr hat als der Asylant, er will sich in die Erde vergraben. Da es aber in einer Stadt wie Rostock überall asphaltiert beziehungsweise betoniert ist, findet der Deutsche keine weiche Erde. Er wird wütend auf die Erde und auf die Stadt und greift den ihm nächststehenden Menschen an, und der ist zufällig ein Asylant.
Seien wir ehrlich, wie der Deutsche, und geben zu: Wie können wir von den Jungs Verständnis erwarten, daß wir Ausländer unsere Solidaritätssteuer ohne Erklärung hinüberschmeißen, als gäben wir ihnen Almosen. Warum weiß, verdammt noch mal, kein Asylant, daß der Deutsche eine hochempfindliche Seele ist? Warum erklärt den Jungs drüben keine Sau, daß unsere Solidaritätssteuer kein Almosen, sondern ein Zeichen unserer Dankbarkeit ist, daß wir am deutschen Wohlstand früher teilgenommen haben als sie. Sie, die armen Jungs, haben als reine Deutsche — nicht durchrasst und nicht durchmischt — 40 Jahre lang darauf gewartet, und wir kommen aus irgendwoher und stibitzen ihnen das Geld weg! Seien wir anständig, wie der Deutsche, und erklären uns schuldig dafür, daß die Jungs ins Feuer der Heime gehen müssen. Wer hätte dann die Verantwortung, wenn ein deutscher Junge verbrannt wäre? Die Polizei nicht, die da draußen stand, unschuldig und voller Mitleid mit den Asylanten. Warum scheißt man, wenn ich fragen darf, hinter den Busch? Wie ich gehört habe, haben die Asylanten alle Büsche in Rostock vollgeschissen. So was kann man in der Wallachai tun, aber nicht in einer Hansestadt, in der die Ausländerfreundlichkeit lange Tradition hat. Man hätte sein eigenes Klo aus Rumänien mitbringen sollen! Was deutsche Jungs besonders beleidigt, ist die Beschmutzung des Vaterlandes.
Seien wir gerecht, wie der Deutsche, und geben zu, daß wir uns nicht mehr länger leisten dürfen, daß die Wessis uns hassen, aber die Ossis nicht. Das ist undemokratisch, gemein, hinterlistig, wie ein Ausländer eben so ist. Die Einheit sollte auch auf der Gefühlsebene stattfinden. Jetzt kann man sagen, daß die Deutschen endgültig wiedervereinigt sind. Das haben wir geschafft!
Seien wir nicht geizig, wie kein Deutscher ist, und verzichten wir auf unsere Rechte, wie zum Beispiel an einem sonnigen Sonntag am Rhein entlang spazierenzugehen oder uns auf einem Stadtfest besaufen zu dürfen, wo die Deutschen am menschlichsten sind, oder hören wir auf damit, unsere Kinder in die Kindergärten zu schicken, dorthin, wo die Deutschen am frommsten sind.
Seien wir nicht selbstgefällig und rücken endlich mit der Sprache raus, daß nicht das Benehmen der Deutschen unmenschlich ist, sondern unser Aussehen provozierend wirkt. Nehmen wir den rumänischen Roma oder den Kurden aus Irak oder einen Tamilen oder einen aus Ghana. Alle sind schwarz, manche regelrechte Neger, die dem Ästhetikverständnis eines deutschen Jungen nicht entsprechen. Ein Asylant muß wie ein Deutscher aussehen, wenn das irgendwie nicht geht, dann eben wie ein Europäer, wie zum Beispiel ein Norweger oder Schwede oder Engländer oder ein Franzose. Was Osteuropa und den Rest der Welt angeht, sind die deutschen Jungs sehr gerecht: Sie hassen alle und alles, was außerhalb von Europa wächst und hierherkommt — außer meinetwegen die Bananen. Es gibt zwischen einem Franzosen und einem Deutschen keinen sichtbaren Unterschied, wenn nur der Franzose seinen Mund nicht aufmacht und mit seinem bizarren Akzent deutsch spricht.
Seien wir bescheiden und danken wir Allah oder Gott, daß wir die Deutschen haben. Sonst hätten wir nie erfahren, daß ein Volk so dumm sein kann, daß ein Volk sowohl früher als auch in der Zukunft in der Lage (gewesen) ist und sein kann, anderen Menschen immer wieder Angst und Schrecken einzujagen. Allah, ich danke dir dafür, daß du uns die Deutschen geschenkt hast. Sinasi Dikmen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen