GETEILTES WISSEN : Eben noch Krieg
„Ich denke, der sagt das so, weil ja noch alles zerstört war.“
Ich nicke. „Zerstört“ – da hat sie recht, so halb jedenfalls. Aufgebaut haben sie im Osten jedenfalls langsamer als im Westen. Und im Osten wurde die Rede gehalten, um die es gerade geht. Die Tochter meiner Bekannten spricht weiter. „Und nach dem Krieg musste man den Menschen doch Mut machen.“
Kalter Krieg, klar, kommt auch noch so hin. Trotzdem werde ich stutzig und schiele noch mal auf das Papier, das vor ihr liegt. 1995 steht da. Da hat ein Politiker eine Rede gehalten, und die muss sie jetzt analysieren. Und weil sie nicht genau weiß, wie das geht, sitze ich hier neben ihr. Ich weiß zwar auch nicht, wie analysieren geht, da war ich schon immer ’ne Null, aber vielleicht kann ich ihr trotzdem helfen. Und nachher essen wir alle zusammen, sie und ihre Mutter, das wird toll. Ich schnuppere, rieche aber noch nichts. Dauert wohl noch. Und sowieso: Ich muss mich konzentrieren hier, auf – auf was noch mal?
„Da war der Krieg doch noch nicht so lange vorbei, oder?“
Krieg, genau. Aber irgendwas stimmte da nicht. Die Jahreszahl, richtig. „Welcher Krieg jetzt?“, frag ich. „Na, Weltkrieg. Der zweite.“ – „Ehm“, sag ich und tippe mit meinem Stift auf die Jahreszahl. „Ja?“, fragt sie und schaut aufs Papier. „War doch da erst zu Ende.“ – „Nee“, sag ich. „95 war der nicht grad zu Ende.“ – „Nee?“ – „Nee.“ – „Wann denn dann?“, fragt sie, und obwohl ich’s krass finde, dass sie das nicht weiß, finde ich sie auch tapfer, das zuzugeben. Ich hätte nicht zugegeben, dass ich nicht weiß, wer zum Beispiel gerade Bundespräsident ist oder so.
„45“, sag ich. „Echt?“ – „Echt.“
Sie schweigt eine Weile, und ich schnuppere so lange. Jetzt riecht’s schon nach was. „Wer is’n grad Bundespräsident?“, frag ich sie dann. „Was hat ’n das damit zu tun?“ Sie schaut mich an. Ich zuck mit den Schultern. „Egal“, sag ich dann. „Komm, lass erst mal essen gehen.“ JOEY JUSCHKA