GESICHTER DER GROßSTADT: "Mensch, Holzapfel, Sie kenne ich doch!"
■ Von einem, der auszog, die DDR-Verhältnisse zu verändern, aber scheiterte und nun wieder in der Opposition ist
Stahnsdorf. Seinen Gang als schlacksig zu bezeichnen ist eine Untertreibung. Die immer etwas zu kurz geratenen Hosen schlottern an ihm herum, beim Erzählen — immer leicht vorgebeugt — wedeln die Arme wie unkontrolliert durch die Luft. Wo immer er auftaucht — er fällt auf. Doch daran hat sich Ralf Holzapfel (21) längst gewöhnt.
Schon in der Schulzeit spürte er stärker als andere die bedrückende Muffigkeit der DDR-Verhältnisse. Irgendwann schnappte sich der damals Fünfzehnjährige, Farbe und Pinsel und zieht los. Als die Bewohner des kleinen Ortes Stahnsdorf bei Berlin am nächsten Morgen zur Arbeit fahren, stehen da Sprüche an den Wänden wie: »Die Mauer muß weg« oder »Es gibt nur ein Deutschland«. Sofort setzt eine großangelegte Untersuchung des »Vorfalls« ein, Kripo und Stasi arbeiten fieberhaft. Es dauert nicht lange, bis Holzapfel Besuch von einem freundlichen Herrn der Staastsicherheit bekommt. Doch die offizielle Beschuldigung lautet nicht etwa »staatsfeindliche Hetze« oder so ähnlich — Rowdytum wird ihm zur Last gelegt. Das ist natürlich viel unpolitischer. Verurteilt wird er nicht. Bei der psychologischen Begutachtung für »minderjährige Straftäter« meint man, Holzapfel sei »auf Grund seiner Persönlichkeitsentwicklung nicht in der Lage, die Tragweite seiner Handlung zu überschauen«. Vorsichtshalber aber führt ihn das zuständige »Referat Jugendhilfe« beim Rat des Kreises von Stund an als »kriminell gefährdet« in den Akten.
In der Schule gerät er völlig in die Isolation. Keiner seiner Mitschüler will mehr, ob seiner »schändlichen« Tat, etwas mit ihm zu tun haben. Wo immer er aufkreuzt, baut sich eine Mauer des Schweigens vor ihm auf. Als er später eine Lehre aufnimmt, wird es nicht besser. Auf der Suche nach Kontakt mit Gleichaltrigen besucht er des öfteren Veranstaltungen der Jungen Gemeinde der Potsdamer Nikolaikirche. »Anfangs«, so erzählt er heute, »bloß wegen dem Kontakt mit Leuten«. Mit der Zeit beeindrucken ihn aber die regimekritischen Haltungen, die es vor allem in der innerkirchlichen Bewegung »Kirche von unten« gibt. »Und dann wurde ich evangelisiert«, erinnert sich Ralf Holzapfel grinsend. Ein Pfarrer warb in St. Nicolai für das Evangelium, rief die Zuhörer auf, sich zum Glauben zu bekennen. »Da saß ich so rum, überlegte kurz, dann sagte ich mir >Scheiße, ich probiers< und ging nach vorn«. Am 2. Weihnachtsfeiertag 1987 wird er getauft.
Konflikten geht er auch weiterhin nicht aus dem Weg. Ärger gibt es bei den »Reichstagskonzerten«, die stets Hunderte von Rockfans aus dem Osten zum Brandenburger Tor treiben. Als 1988 ein Pink-Floyd-Konzert stattfindet, darf er natürlich nicht fehlen: »Als die Bullen kamen, hab ich angefangen, die DDR-Hymne zu singen, ich kam aber bloß bis zur zweiten Zeile — dann hatten sie mich festgenommen.« Man brummt ihm eine Ordnungsstrafe von 200 Mark auf, »von denen ich aber nach dem Staatsvertrag hundert Mark zurückbekommen habe — auch Staatsschulden wurden ja halbiert.«
Im Sommer 1988 besetzt er eine Wohnung in Ost-Berlin und schlägt sich dort mit verschiedenen Gelegenheitsjobs durch. Auf die Dauer genügt ihm das aber nicht, und er beschließt — Pfarrer zu werden. Holzapfel: »Damals wußte ich allerdings noch nicht, welche phantastischen Aufstiegsmöglichkeiten damit in der DDR verbunden sind.« Zur Vorbereitung des Studiums belegt er einen Platz im Proseminar in Naumburg.
Mehr und mehr engagiert sich Ralf Holzapfel in der kirchlichen Protestbewegung. Im Juni 1989, als während des »Kirchentags von unten« in Leipzig ein »Pleiße-Pilgerweg« stattfindet, der auf die hochgradige Verseuchung dieses stinkenden Flüßchens hinweisen soll, wird der Protestmarsch von der Volkspolizei aufgelöst, die Teilnehmer festgenommen. Nach einigen Stunden wieder freigelassen, schließt sich Holzapfel am nächsten Tag der monatlichen »Wahlbetrugsdemo« an. Nach ein paar Minuten stürzt sich ein Stasi-Mann mit den Worten »Holzapfel, Sie kenne ich doch!« auf den Protestierer — und schon war er wieder in den Händen der Staatsgewalt.
Den 7. Oktober verlebt er in Berlin. »Weil der siebte Oktober nun mal auf einen siebten fiel und also Wahlbetrugsdemo angesagt war«, geht er zum Alexanderplatz. Dort haben sich bereits viele andere eingefunden — doch längst geht es schon nicht mehr darum, den Wahlbetrug vom Mai anzuprangern. Die Demonstranten ziehen vom Alex zum Palast der Republik, wo die Politbürokratie den 40. Jahrestag der DDR feierte: »Aus irgendwelchen Gründen bin ich diesmal aber nicht festgenommen worden.«
Als die Rufe zur Wiedervereinigung immer lauter werden, geht er erneut in Opposition: »Mensch, ich wollte doch eine vernünftige DDR und kein Großdeutschland.« Auf Anti-AKW-Demos ist er nun ebenso anzutreffen wie bei Sitzblockaden vor Bundeswehrkasernen in Westdeutschland. Und er würde sich nicht wundern, wenn sich demnächst ein Verfassungsschutzbeamter während einer Demo mit den Worten »Holzapfel, Sie kenne ich doch« auf ihn stürzen und ihn vorläufig festnehmen würde. Olaf Kampmann
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