GERHARD DILGER ÜBER DEN WAHLSIEG VON DILMA ROUSSEFF IN BRASILIEN : Lulas Erbin
Brasilien hat gerade eine Richtungswahl hinter sich, und die Linke konnte sie für sich entscheiden: Dilma Rousseff, eine ehemalige Guerillera und seit 2005 Chefmanagerin der Regierung Lula, setzte sich klar gegen José Serra, den Vertreter des liberal-rechtskonservativen Lagers, durch. Daran konnte auch die Parteinahme der großen brasilianischen Medien für die Rechte nichts ändern.
Unter der Führung Brasiliens beginnt Südamerika, sich aus seiner neokolonialen Abhängigkeit von den USA und Europa zu lösen. Eine Wahl Serras hätte einen schweren Rückschlag für dieses Projekt bedeutet. Deshalb ist Dilma Rousseffs Erfolg auch ein Sieg für internationalistisch gesinnte Linke in aller Welt.
Viele westliche Leitmedien sind skeptisch. Das Londoner Wochenmagazin Economist, das Lula jahrelang als pragmatischen Garanten eines etwas sozialeren Kapitalismus gelobt und umschwärmt hatte, sprach sich vor der Wahl ganz explizit für Serra aus. Und Spiegel Online erwartet nun unter Rousseff ein „Land ohne Glanz“: „Die neue Weltmacht wackelt“, diagnostizieren die Hamburger. Abstrus wird es aber, wenn Brasiliens krisenfeste und längst wieder boomende Volkswirtschaft als ineffizienter „Staatskapitalismus“ bedauert wird oder marktliberale Reformen angemahnt werden. Denn auf die Weltwirtschaftskrise reagierten die Brasilianer mit neokeynesianischer Nachfragepolitik – und fuhren damit weit besser als die neoliberal gleichgeschalteten Europäer. Auch Lulas Süd-Süd-Politik, die sich wohltuend von Cardosos verzagter Außenpolitik unterscheidet, will die neue Präsidentin fortsetzen, womit sie den unverhohlenen Ärger der lateinamerikanischen Rechten und ihrer Claqueure auf sich zieht.
Rousseff tut gut daran, Lulas eigenständigen und selbstbewussten Kurs fortzusetzen. Denn der bisherige Präsident scheidet mit rekordverdächtigen Zustimmungsraten aus seinem Amt – als populärster Staatschef seit Jahrzehnten.
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