GENTRIFIZIERUNG IN NEUKÖLLN: Bürger wehren sich gegen Verdrängung
Bei einem Straßenfest machen die MieterInnen zweier Häuser im Neuköllner Reuterkiez auf ihre Angst vor Verdrängung durch steigende Mieten aufmerksam. Auch Nachbarn berichten von Mieterhöhungen.
Aus einem Fenster des Hauses Weichselpatz 8/9 in Nordneukölln hängt ein Transparent: "Hier wehren sich Neuköllner MieterInnen." Gegenüber des Gebäudes haben sie am Sonntagnachmittag Info- und Essenstische aufgebaut. Etwa 100 Menschen kommen zum ersten Straßenfest gegen Verdrängung der Häuser Weichselplatz 8/9 und Fuldastraße 31/32.
Der Gebäudekomplex war im letzten Jahr von der neunköpfigen "Grundstücksgemeinschaft Weichselplatz" gekauft worden, die die Häuser mit finanzieller Unterstützung der Kreditanstalt für Wiedeaufbau (KfW) nach ökologischen Gesichtspunkten modernisieren will. Viele MieterInnen befürchten nun, sich die Wohnungen danach nicht mehr leisten zu können.
Hartz-Aufstockerin Eva Möller* zahlt für ihre Wohnung bisher 470 Euro Miete im Monat. Nach der Modernisierung wären es 621 Euro. "Damit wäre ich über der Höchstgrenze, die das das Jobcenter übernimmt und müsste mir eine neue Wohnung suchten", sagt Möller. Sie verweigerte die Unterschift unter der Modernisierungsvereinbarung und koordinierte sich mit ihren NachbarInnen.
Klaus Weins*, der ebenfalls am Weichselplatz 8/9 wohnt und dessen Miete nach der Modernisierung sogar bis zu 60 Prozent steigen könnte, ergänzt: "Seit acht Monaten treffen wir uns regelmäßig, haben uns bei einem Anwalt der Mietergemeinschaft informiert, machen uns gegenseitig Mut und besprechen unser gemeinsames Vorgehen."
Andere Nachbarn erzählen auf dem Straßenfest von ähnlichen Problemen. "Ich wohne in der Weichselstraße 68. Auch dort versuchen wir uns gegen eine mit einer geplanten Modernisierung verbundene Mieterhöhung zu wehren", sagt ein junger Mann. Die ersten Treffen seien auch positiv verlaufen. Allerdings seien einige MieterInnen mit geringen Einkommen aus Angst vor den Mieteröhungen inzwischen ausgezogen.
Wer sich wehren will, sollte allerdings erst einmal "keine Modernisierungsvereinbarung unterschreiben", sagt Herrmann Wehrle von der Berliner MieterInnengemeinschaft. Mehr als die Hälfte der
MieterInnen des Weichselplatzes 8/9 und der Fuldaer Straße 31/32 folgten diesem Ratschlag. Als Totalabsage wollen sie das nicht verstanden wissen. "Wir können uns vorstellen, mit den EigentümerInnen ein sozialverträgliches Konzept für eine faire Modernisierung zu entwickeln", so Weins. Allerdings müssten zuvor die Klagen zurückgenommen werden, die die EigentümerInnen auf Duldung der Modernisierung gegen drei MieterInnen gestellt haben.
In dieser Hinsicht zeigt sich Tim Lühning von der Grundstücksverwaltung zumindest gesprächsbereit. "Da es unser Wunsch ist, dass so viele MieterInnen wie möglich im Haus wohnen bleiben können, sind wir zu Kompromissen bereit. Allerdings müssen die in ihrer Gesamtheit für uns wirtschaftlich tragfähig sein", erklärte er.
* Name geändert
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden