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Archiv-Artikel

GELD UND ALKOHOL FÜHREN EINE SELTSAME BEZIEHUNG Kultur der Statusangst

Nüchtern

VON DANIEL SCHREIBER

Seit ein paar Tagen geht mir ein Artikel aus dem Guardian nicht mehr aus dem Kopf, in dem neue Einkommensstatistiken ausgewertet wurden. Nach dem Immobilienboom der vergangenen Jahre, hieß es dort, sei heute jeder zehnte Brite Millionär. Und wenn man in den vergangenen Jahren im Vereinigten Königreich einen Universitätsabschluss gemacht habe, liege die Wahrscheinlichkeit, mehr als eine Million Pfund sein eigen zu nennen, sogar bei 20 Prozent.

Nun gab es hier in Deutschland keinen solchen Immobilienboom, und meinen Universitätsabschluss habe ich auch nicht in Großbritannien gemacht. Also bin ich wohl entschuldigt, gerade wenn mich manchmal das Gefühl überkommt, etwas falsch gemacht zu haben. Trotzdem: Viele meiner Freunde und Bekannten kaufen sich Wohnungen, gründen Familien und kümmern sich erfolgreich um ihre Altersvorsorge, während ich von alldem weit entfernt bin. Als arm würde ich mich zwar nicht bezeichnen – ich miete ein hübsches, kleines Apartment, habe eine Krankenversicherung und kann ab und zu auch mal essen gehen. Aber alles in allem führe ich ein bescheidenes Leben. Dabei habe ich sogar einen sehr guten deutschen Universitätsabschluss.

Als ich noch getrunken habe, habe ich selten über meine Finanzen nachgedacht und konsequent über meine Verhältnisse gelebt. Geld und Alkohol führen eine seltsame Beziehung – und damit meine ich noch nicht einmal, dass man, wenn man trinkt, immer wieder mal ein kleines Vermögen für ausufernde Partynächte, Drogen und Taxifahrten ausgibt. Ich glaube vielmehr, dass das Ökonomische und das Alkoholische immer eine brenzlige psychische Verbindung eingehen. Das Trinken ist wie Treibstoff für die innere Selbstüberschätzungsmaschine. Alkohol nährt den Glauben, dass wir mehr sind, als wir sind; dass uns mehr zusteht, als wir haben; und vor allem, dass wir so viel mehr als all das brauchen, um glücklich zu sein.

Ich habe schon immer viel gearbeitet. Das war praktisch, als ich mich daranmachte, die finanziellen Folgen jener Zeit anzugehen. Doch seit ich nicht mehr als Redakteur angestellt bin und frei schreibe, verdiene ich ein gutes Drittel weniger als früher. Ich mag es, unabhängig zu arbeiten, es geht mir besser damit. Und wenn ich noch trinken würde, könnte ich mir das mit Sicherheit nicht leisten. Allerdings rückt neuerdings immer stärker die Einsicht in den Fokus, dass ich mit dem Schreiben nie über ein bestimmtes Einkommenslevel hinauskommen werde und dass ich mich von der Idee von etwas mehr Wohlstand, will ich weiter so arbeiten, verabschieden muss.

Scheitern, sagt der amerikanische Soziologe Richard Sennett, sei das größte Tabu der Moderne. Wir leben in einer Gesellschaft, die Erfolg und Reichtum verehrt, einer Gesellschaft mit einem quasi eingebauten Unersättlichkeitsdrang. Für die meisten von uns ist es zwar so einfach wie nie zuvor, den Lebensunterhalt zu verdienen, aber es ist schwieriger denn je, damit auch zufrieden zu sein. Wir könnten immer noch mehr erreichen, wird uns suggeriert, schließlich hätten wir alle dieselben Chancen. Dabei wissen wir sehr wohl, dass das nicht so ist.

Ich glaube, dass diese Kultur der Statusangst letztlich nur dafür sorgt, dass wir uns schlechter fühlen, als wir sollten. Man muss keine Wohnung besitzen, um zufrieden zu sein, man muss auch nicht ein paar Hunderttausend auf dem Konto haben. Ich bin nicht der Erste, der das schreibt, und werde auch nicht der Letzte sein: Man muss sein Scheitern lieben lernen. Für mich ging das nur, indem ich mit dem Trinken aufhörte. Vorher wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass das, was ich als Scheitern ansehe, vielleicht gar kein Scheitern ist.

■ Daniel Schreiber lebt in Berlin. Er ist Autor der Biografie „Susan Sontag. Geist und Glamour“