GEGEN ARBEITSLOSIGKEIT HELFEN WEDER NEUE STATISTIK NOCH WORTE : Die Fiktion der Kraftanstrengung
Also doch nicht. So schnell werden wir nicht den ersten Rauswurf der zweiten Regierung Schröder erleben. Jedenfalls dann nicht, wenn es stimmt, dass es nicht stimmt, was eine Zeitung gestern meldete – dass nämlich Wirtschaftsminister Wolfgang Clement und Bundeskanzler Gerhard Schröder „keineswegs zufrieden“ seien mit Florian Gerster. Der Vorstandschef der Bundesanstalt für Arbeit versicherte, der Kontakt zur Bundesregierung sei „sehr gut“ und es herrsche „hohes Einvernehmen“. Clement gab das Lob zurück und ließ ausrichten, er habe „volles Vertrauen“ zu Gerster.
Also alles gut? Die Nachricht an der angeblichen Nicht-Nachricht ist, dass sie so wahrscheinlich wirkte. Keiner würde sich wundern, wenn Schröder mal wieder Tatkraft beweisen wollte, indem er einen Mitarbeiter feuert. Der Kanzler neigt bekanntlich dazu, Strukturprobleme zu personalisieren. Und ein Problem wird der Arbeitsmarkt bleiben, wie die neueste Zahl von 4,632 Millionen Menschen zeigt, die einen Job suchen. Offiziell. Selbst konservativste Experten schätzen, dass es tatsächlich etwa 5,5 Millionen sind. Und dieser Fakt wird sich kein bisschen dadurch ändern, dass man den EU-Standard einführt und die offizielle Arbeitslosenzahl senkt. Nichts gegen die EU-Harmonisierung, Vergleichbarkeit ist schön. Aber man sollte nicht glauben, dass die Wirklichkeit verglichen würde – sondern nur mäßig gelungene statistische Annäherungen an das reale Leben.
Zur realen Politik gehört, dass auch gestern wieder hartnäckig an der Fiktion festgehalten wurde, dass sich die Arbeitslosigkeit wegreformieren lässt. Clement sprach von einer „großen gemeinsamen Kraftanstrengung“. Das sind gewaltige Worte, doch der konkrete Vorschlag geriet schwächlich: Der Wirtschaftsminister ventilierte erneut seine Idee, den Kündigungsschutz zu lockern. Diese „Flexibilisierung“ wird jedoch kaum neue Arbeitsplätze schaffen; darin sind sich fast alle Experten einig. Das wiegt sehr schwer, denn Einmütigkeit ist sehr selten in der Arbeitsmarktpolitik.
Seit nunmehr 30 Jahren werden steigende Arbeitslosenzahlen registriert, trotzdem kann ein nahe liegender Gedanke anscheinend nicht gedacht werden – dass dies mit der steigenden Produktivität der Wirtschaft zu tun haben könnte. Man könnte es auch Mini-Max-Prinzip nennen: Weniger Menschen produzieren immer mehr. Auf dieser technischen Leistungskraft beruht der deutsche Exporterfolg. Wir müssen lernen, mit der Arbeitslosigkeit zu leben, sie gerecht verteilen. Doch stattdessen wird von den Arbeitsämtern erwartet, dass sie Arbeitslose in Jobs vermitteln, die es nicht gibt. Florian Gerster hat noch einen, aber darum ist er nicht zu beneiden. ULRIKE HERRMANN