GASTKOMMENTARE: „Verräter“ Wolfgang Templin
■ Der lange Weg eines Idealisten
Entgegen den Wünschen vieler, die es schon immer gewußt haben, und anderer, die es nie wissen wollten, gab es eine Opposition in der DDR. Sie hat eine lange und leidvolle Geschichte. Jetzt erst, nach dem verdienten Ende der DDR und der von dieser Opposition geforderten Öffnung ihrer Archive, kann begonnen werden, diese Geschichte zu schreiben. Bis dahin mußte sie gemacht werden. Und wie jede Geschichte, so strotzt auch diese von Irrtümern und Abwegen.
Kommunisten aus Idealismus waren eine — und nicht die unwichtigste — Wurzel des Widerstands. Die SED erzog in ihren Reihen nicht nur Karrieristen, sondern auch Menschen mit hohem Anspruch. Die Unvereinbarkeit zwischen diesem und der perversen Realität erzeugte Widerspruch. Viele verteidigten sich gegen das Ungenügen der Wirklichkeit durch besonderes Engagement in der Partei, dem vermeintlichen Hüter des Ideals. Jemand wie Wolfgang Templin schöpfte Hoffnung gerade zu Beginn der 70er Jahre. Auf dem versuchten langen Marsch durch die Institutionen geriet er an die Stasi, den konspirativen Arm der Partei.
Etlichen der zweieinhalb Millionen Genossen und Genossinnen mag es gelungen sein, zu der Erkenntnis vorzudringen, daß gerade die Partei es war, die die Perversion ihrer Ideale betrieb. Wenige nur zogen die Konsequenz des Austritts. Noch weniger, einmal in der Umarmung der Stasi verfangen, befreiten sich daraus aus eigener Kraft. Die wenigsten Gläubigen aber befreiten sich von der Religion des Kommunismus und wurden zu Ketzern schon zu Zeiten, da ein Ende des Sozialismus als Herrschaftsform noch unabsehbar war.
Wolfgang Templins Weg vom Überzeugungstäter für Partei und Stasi zum Überzeugungstäter gegen sie war lang. Es war der längste mögliche Weg, den ein politisch engagierter Mensch in der DDR gehen konnte. Die Mühen der Schritte, vom Parteimitglied und Stasi-Spitzel über den Trotzkisten und den Friedensbewegten zum Mitbegründer der „Initiative Frieden und Menschenrechte“ kann vielleicht nur nachvollziehen, wer ähnliche Schritte selbst gegangen ist. Verraten hat er nicht die Opposition, sondern die Stasi. Seit 15 Jahren wurde er dafür verfolgt wie kaum ein anderer.
„Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um.“ Dieser Satz aus einem der schönsten und wichtigsten Lieder des jetzigen Spitzel-Jägers Wolf Biermann ist leider nicht umkehrbar. Aber die Gefahr hat verschiedene Seiten. Das Beispiel Wolfgang Templins zeigt, wie man darin moralisch überleben kann. Reinhard Weißhuhn
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