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GASTKOMMENTARPolitische Provinzjustiz

■ Zum Blockadeurteil in Simmern

Reagan und Gorbatschow haben es in Washington unterschrieben: Die atomaren Mittelstreckenraketen, darunter auch die Marschflugkörper im Hunsrück, werden abgezogen und verschrottet. Ein Ziel, für das die Friedensbewegung jahrelang gekämpft hat, kommt einer Realisierung damit näher. Der Grüne MdB Alfred Mechtersheimer hat die Friedensbewegung für den Nobelpreis vorgeschlagen.

Doch die Uhren der Hunsrücker Justiz gehen nach. Noch immer finden Prozesse gegen TeilnehmerInnen von Blockadeaktionen statt. Bisher wurden bereits 110 BlockiererInnen abgeurteilt. In einer neuen Prozeßrunde legt der Amtsrichter Göttgen jetzt noch einen Zahn zu. Diesmal werden auch diejenigen verfolgt, die den Aufruf zur Blockade lediglich unterschrieben haben. Die Akte der Angeklagten trug sogar die Vermerke „politische Strafsache“, „geschichtlich wertvoller Prozeß“ und wird obendrein im Staatsarchiv aufbewahrt.

Das Bundesverfassungsgericht überläßt die Entscheidung, ob eine Blockade angesichts der konkreten Umstände „verwerflich“ ist oder nicht, den einzelnen Gerichten. Das interessiert Richter Göttgen nicht. Für ihn ist allein schon der Aufruf zu einer Blockade strafbar. Der Simmerner Amtsrichter ließ sich auch durch die Hinweise auf anderslautende Entscheidungen von mindestens fünf Oberlandesgerichten nicht erschüttern. Nur gegen den Vorwurf der „Provinzialität“, den der Verteidiger mit Bezug auf den rheinland-pfälzischen Justizminister angedeutet hatte, verwahrte sich der Amtsrichter ganz entschieden. Bereits im vorigen Prozeß hatte ihm ein Angeklagter vorgehalten: „Wenn die Raketen auch schon längst abgezogen sein werden, dann verurteilen Sie immer noch.“ Politische Provinzjustiz! Wolfgang Bartels, Hunsrück-Forum

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