GASTKOMMENTAR: Verpaßter Neuanfang
■ Die Mainzer Koalitionsentscheidung ist für die Grünen kein Unglück
Herr Scharping opfert „Rot-Grün“ — also die Gelegenheit zu einem mutigen Neuanfang nach vierzig schwarzen Jahren in Rheinland-Pfalz — seinen hoch spekulativen und kaum begründeten Hoffnungen auf einen baldigen Regierungswechsel mit der FDP in Bonn. Das ist schade für die Rheinland-Pfälzer — für die Grünen aber kein Unglück. Die Übereinstimmung in den Verhandlungen war größer als erwartet. Bei den Vorschlägen zum ökologischen Umstieg beim Weinbau und der Landwirtschaft (weniger Chemie, Extensivierung und Strukturhilfen), in der Energiepolitik (Ausstieg aus der Kernenergie und Energiewende) und bei der Entmilitarisierung gab es mehr Gemeinsames als Gegensätze. Mit dem Grünen Graefe zu Baringdorf hätte es einen auch bei der SPD hoch angesehenen Kandidaten für das Landwirtschaftsministerium gegeben. Die Grünen waren sogar bereit, der Westerwaldtrasse für die Schnellbahn Frankfurt-Köln zuzustimmen und auch über eine Hochtemperatur-Verbrennungsanlage hätte man zumindest reden können. Die Rheinland-Pfälzer SPD ist in ihrer Mehrheit aber ebenso strukturkonservativ wie die CDU machtverbraucht. Sie bauen eben lieber Straßen, anstatt intelligente Nahverkehrssysteme auszuprobieren; bauen lieber Kindergärten und stellen noch mehr Lehrer ein, anstatt Elterninitiativen zu fördern und das Bildungssystem zu entstaatlichen. Scharpings Angst vor der schwarzen Beamtenriege in Mainz war größer als sein Selbstvertrauen. Kontinuität und Sicherheit beim Regieren scheinen ihm wichtiger als vorsichtiger Wandel mit den nach Jutta Ditfurths Auszug neubeginnenden Grünen.
Die Grünen müssen nicht in jede Koalition, und um jeden Preis schon gar nicht. Sie haben bei den Wahlen in Rheinland-Pfalz mehr erreicht, als sie sich träumen ließen. Im Landtag wird es vom ersten Tag an sehr spannend werden. Bei jeder Abstimmung können die sieben grünen Abgeordneten die sieben FDPler beim Mehrheitenbilden ersetzen. Herr Scharping wird immer wieder seine eigenen Vorschläge, die mit Brüderle nicht zu machen waren, ablehnen müssen. Gute Zeiten für wirkungsvolles grünes Opponieren. Vielleicht braucht Herr Scharping ja gar keine fünf Jahre, bis er einsieht, daß Mainz noch lange nicht Bonn ist, und verhandelt schon in zwei Jahren noch mal mit den Grünen. Zu fragen sind die Grünen allerdings, warum sie nicht schon früher ihrerseits Scharping die rote Karte gezeigt haben, warum sie ihm das öffentliche Erklärungsmonopol überlassen haben. Das wäre ein selbstbewußterer Beginn der erfolgversprechenden Opposition im neuen Landtag gewesen. Aber auch Selbstbewußtsein kann man schließlich lernen. Udo Knapp
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